Der Blick ins Leere

Die Handydebatte, ein Krisenherd in jeder Familie und das Lieblingsthema aller Deutschlehrer. Isabella Pauls ist 20 Jahre alt, studiert Sprachwissenschaft und ist genervt.

Handy- und Mediennutzungsdebatte ist so beliebt, dass sie der Nährboden für unzählige wissenschaftliche Studien und Essays ist. Obwohl die Texte die unterschiedlichsten Aspekte der Handynutzung beleuchten sollten ist die Tendenz der meisten Autoren eine negative: Handynutzung macht süchtig, dumm, aggressiv, asozial, unkreativ und ist grundsätzlich mehr Freiheitsraub als Fortschritt. Kathryn Kortmann fasst in ihrem Artikel „Der Blick ins Leere“ in „Bild der Wissenschaft“ die unterschiedlichsten Aspekte der modernen Technologien und ihre Folgen für Kinder und Jugendliche zusammen und rückt sie in ein relativ neutrales Licht.

Als ersten Wirkungsbereich von modernen Technologien nennt sie das Badezimmer, wo durch eine App das Zähneputzen spielerisch erleichtert werden soll. Sie bezeichnet den Vorgang als „Angriff auf die letzte technikfreie Bastion“. Allerdings könnte man auch argumentieren, dass der Angriff bereits stattfand, als alle Zahnärzte und Werbungen ihren Kunden empfahlen, ihre Handzahnbürste durch eine elektrische zu ersetzen. Der Fortschritt beim Zähneputzen durch die neuen Apps lässt sich ganz leicht mit dem Fortschritt eines rotierenden Bürstenkopfes vergleichen: Beide erleichtern den Putzvorgang.

Ein weiterer Brennpunkt ist der Einfluss von digitalen Medien auf Babys und Kinder. Unterschiedlichste Studien zeigen, dass Kinder, die bereits in jungen Jahren Technologien ausgesetzt werden, diese den klassischen Kinderspielzeugen bevorzugen. Das kommt nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass Kinder sich ihren Input nicht aussuchen können. Es ist eine Entscheidung der Eltern welchen Spielzeugen und Technologien sie ihr Kind aussetzen wollen. Es ist leicht die Schuld der Technik zuzuweisen, wenn es tatsächlich die Eltern sind, die das Kind auf einen bestimmten Pfad setzen. Ich bezweifle, dass ein Kind, das mit Stofftieren und Rollenspielen aufwächst, seinen Teddy einem Tablet bevorzugen wird. Mit nichts schlafe ich besser ein als mit meinem Klopfer, da kann ich noch so lange aufs Handy schauen wie ich will…

 

Vernachlässigung kein Phänomen der Technologie

Wie soll ein Kind lernen im Freien zu spielen, wenn niemand mit ihm rausgeht? Oft ist es auch so, dass – wenn sich ein Elternteil nicht mit einem Kind auseinandersetzen will –  er ihm einfach ein Tablet in die Hand drückt, um es ruhig zu stellen. In solchen Situationen darf man sich nicht wundern, dass ein Missbrauch der Technologie entsteht. Auch, dass Babys Schlaf- und Essstörungen entwickeln, wenn sich die Eltern lieber mit dem Handy beschäftigen, ist nicht unbedingt ein Phänomen der Technologie selbst. Kinder brauchen Liebe und Aufmerksamkeit. Deswegen ist es egal, welche Form von Vernachlässigung sie erfahren, die Folgen sind immer negativ.

Zum Verlust der Kreativität zitiert die Autorin den Pädiater David Martin der u.a. in Witten-Herdecke arbeitet (Wegweiser-Leser kennen ihn vom Artikel über das Fieber). Er meint, dass die Fantasie eines Kindes durch Computerspiele vernachlässigt (unterdrückt) wird, da man sich „bespaßen“ lässt und nicht selbst aktiv wird. Auch das hat damit zu tun wie man aufwächst. Wer nie gelernt hat, selbstständig zu spielen und mit seiner Umwelt zu interagieren, natürlich, dem fehlen im späteren Leben bestimmte Qualitäten. Schuld daran können ein unausgeglichener Alltag und vielleicht sogar eine Sucht sein.

Die Frage ist, ob Kinder, die Computerspiele spielen, auch dazu fähig sind, sich in der Natur aktiv zu unterhalten. Das ist so, als würde man fragen, ob Kinder die viel lesen sich noch aktiv beschäftigen können. Computerspiele fördern wie Bücher, Filme und Hörspiele die Kreativität der Kinder insofern, dass sie ihnen neue Welten aufzeigen. Es muss nicht eines das andere ausschließen.

Können Smartphones dumm machen?

Das Argument, dass Smartphones dumm machen, belegt Kortmann mit einer in Rumänien durchgeführten Studie. Die Intension der rumänischen Regierung, ihre Schüler durch Computer zu unterstützen, hatte dazu geführt, dass sich der Notendurchschnitt in Fächern wie Rumänisch, Mathematik und Englisch verschlechterte. Obwohl in diesem Fall tatsächlich die Computer verantwortlich für die Leistungsverschlechterung waren, ist es wichtig festzuhalten, dass verschiedene Umweltfaktoren zu schlechteren Noten führen können. Die Vernachlässigung der schulischen Pflichten kann in verschiedenen Freizeitaktivitäten ihren Ausdruck finden, insbesondere wenn sie exzessiv durchgeführt werden. Die Rumänen, die ich kenne, haben schlechte Noten weil sie zu viel fortgehen, schwänzen, oder einfach auch weil das Schulsystem schlecht ist. Fast keiner von denen Kaum jemand von Ihnen hängt viel vor seinem Computer herum.

Eine Studie der Wissenschaftler am Kriminologischen Forschungsinstitut in Niedersachsen hat gezeigt, dass Probanden, die zuvor Sport gemacht hatten, Rechenaufgaben besser lösen konnten als Probanden, die zuvor Computerspiele gespielt hatten. Die Schlussfolgerung daraus ist, dass Sport den Kopf frei macht, während Computerspiele die Aufmerksamkeit binden. Das ist eine interessante Erkenntnis für Schüler, die geplant hatten, vor einer Schularbeit noch schnell zu zocken. Sonst ist sie aber nicht wirklich wertvoll, da Computerspiele nicht dazu da sind, uns schlau zu machen. Ebenso ist es bei Filmen und Serien. Sie müssen nicht weiterbilden. Sie dienen lediglich zur Ablenkung vom Alltag und  bieten eine alternative Welt, in die das Kind oder der Jugendliche eintauchen kann. Ich kann den Standpunkt verstehen, dass für einige Erwachsene bestimmte Spiele und Serien als „dumm“ erscheinen, ich bin selbst kein Fan von „Spongebob Schwammkopf“. Umgekehrt stellt sich aber die Frage: Hat „Woody Woodpecker“ sie etwa schlauer gemacht? Ich glaube nämlich nicht, dass „Oogie und die Kakerlaken“ einen positiven Einfluss auf mich hatten.

Henne-Ei-Problematik

In der Soziolinguistik ist die Hauptfrage, welcher Faktor denn nun welchen beeinflusst. Ist es nun die Sprache, die den sozialen Stand einer Person beeinflusst, oder ist es der Status der das Reden bedingt?

Die Antwort ist bis heute stark umstritten. Wieso sollte es bei anderen Phänomenen nicht auch so sein? Kortmann schreibt über eine von Clifford Nass und Roy Pea durchgeführte Studie, die zeigt, dass Mädchen, die mehr Zeit mit ihren Freundinnen verbringen glücklicher sind, als diejenigen, die in virtuellen online Freundschaften sind. Das ist natürlich eine bequeme Antwort und ein schlagkräftiges Argument gegen das deutliche Chat-Verhalten von Kindern und Jugendlichen, aber meiner Meinung nach zu einseitig. Selbst vor der Zeit der Chatplattformen gab es bereits junge Mädchen, die nicht Teil eines Freundeskreises und deswegen unglücklich waren. In meinen Augen ist die Wirkung der Chat-Freundschaften nämlich genau anders herum. Genau weil sie im echten Leben aus irgendwelchen Gründen nicht mit ihren Peers Freundschaften pflegen können, wenden sich Jugendliche an Internet-Bekanntschaften, da sie sich von diesen oft besser verstanden fühlen. Um das zu beweisen brauche ich keine Studie: Die verschiedensten sozialen Medien sind überfüllt mit Berichten und Zeugnissen von starken Freundschaften, die über das Internet entstanden sind.

„Die Dosis macht das Gift“ ist Kortmanns Fazit, das sie vom Gesundheitswissenschaftler Klaus Hurrelmann übernimmt. Tatsächlich macht diese Aussage sehr viel Sinn. Die meisten der negativen Argumente gegen die Nutzung von Handy & Co beziehen sich auf deren exzessive Anwendung. Wenn Kinder nicht den ganzen Tag am Handy hängen haben sie auch mehr Möglichkeiten, sich aktiv zu betätigen. Die Schuldzuweisungen sollten demnach das Maß und nicht das Mittel betreffen.

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