Rudolf Steiners Mysteriendramen weltweit

Text und Bild: Dr. Wolfgang Peter, Leiter der Mystiendramengruppe Wien.   Vom 21. bis 25. Juli dieses Jahres fand im Goetheanum in Dornach eine große Tagung statt, die von Mysteriendramengruppen aus der ganzen Welt gestaltet wurde. Für die Goetheanum-Leitung war es ein Experiment, das es in dieser Art zuvor noch nicht gegeben hatte. Es entstand aus dem klaren Bewusstsein, dass neue Wege beschritten werden müssen, um Anthroposophie als lebendig wirkende Kraft in die Welt zu tragen, und dass dabei auch dem Goetheanum als geistigem Zentrum eine neue Aufgabe zukommt. Dass es nicht ausreicht, in traditioneller Weise von hier geistige Impulse auszustrahlen, sondern dass in gleichem Maß auch neue belebende Impulse aus der ganzen Welt einströmen müssen. Ein durchaus riskantes Unterfangen, da sich nur schwer abschätzen lässt, was dann alles – und vielleicht auch ganz Wesensfremdes – hereinströmen mag. Doch ohne dieses unkalkulierbare Risiko ist Leben nicht möglich. Es drängt sich das Bild des lebendig schlagenden Herzens auf, das eben nicht als zentrale „Pumpe“ das Blut von sich aus antreibt, sondern von der ganzen Peripherie des Blutkreislaufs seine Bewegungskraft empfängt und die gesammelten Kräfte in verwandelter Form wieder an den ganzen Organismus zurückschenkt. Und so konnte man es auch während der gesamten Tagung empfinden. Das Goetheanum war erfüllt von pulsierendem Leben und die Verantwortlichen des Goetheanums haben mit riesigem Engagement alles dazu getan, dass sich dieses Leben frei und unbelastet entfalten konnte. Es herrschte eine zutiefst ehrlich esoterische, völlig unprätentiöse Atmosphäre und zugleich eine ganz gelöste, heitere Stimmung. Der Weltenhumor schien als Schirmherr über dem bunten Treiben zu schweben. Das Spektrum der Darbietungen hätte breiter nicht sein können. Der Bogen reichte von sehr traditionellen Inszenierungen bis hin zu ganz avangardistischen Darstellungen. Besonders eindrucksvoll war es, die Szenen in der jeweiligen Landessprache zu verfolgen. Auf eine Simultanübersetzung wurde bewusst verzichtet. So konnte man sich ganz auf die feinen seelischen Untertöne des gesprochenen Wortes konzentrieren und spürte, wie der Text in den Darstellern wirksam lebt. Die Dramen wurden nicht einfach nur gespielt, sondern auf der Bühne gelebt und ganz individuell ergriffen. Der moderne Mysterienweg wurde hier nicht nur dargestellt, sondern ein gutes Stück weit real beschritten. Umrahmt wurde das Programm von 20 verschiedenen Arbeitsgruppen, die teils von den Mysteriendramengruppen und teils von Vertretern des Goetheanums geleitet wurden. Dabei gab es reichlich Gelegenheit, einzelne Themen durch Gespräche, vor allem aber auch durch praktische Übungen zu vertiefen. Dazu wurden an den Vormittagen ausgezeichnete Vorträge geboten, die viele Anregungen geben konnten und wohltuend frei von intellektuellen Spitzfindigkeiten waren. Wirklich erfüllend und befruchtend waren die vielen guten menschlichen Begegnungen. Auch wenn man vielleicht nur wenige Worte miteinander wechselte, war es ein fruchtbarer Austausch und man hatte das vertraute Gefühl, einander seit Ewigkeiten zu kennen. Es war greifbar, dass hier eine weltweite Schicksalsgemeinschaft zusammengetroffen war und dass man einander viel geben konnte. Trotz auch ganz unterschiedlicher Standpunkte konnte man immer frei, offen und herzlich miteinander sprechen. Klar wurde auch, dass man weit über den engen Tellerrand des eigenen regionalen Tuns hinausblicken muss, um Anthroposophie lebendig wirksam in die Welt zu stellen. Das Experiment ist geglückt und war ein kräftiger Lebensimpuls für die Anthroposophie des 21. Jahrhunderts.

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