Von Brennpunkten zu Leuchtpunkten

Geistige Impulse für einen Paradigmenwechsel in der Land- und Ernährungswissenschaft. Demeter und die Landwirtschaftliche Sektion am Goetheanum im Zukunftscheck.

Text: Barbara Chaloupek, Foto: Philippe Put, Demeter

Es spitzt sich zu: Auf der einen Seite Expertenwissen aus dem Labor und großindustrielle Nahrungsmittelproduktion, auf der anderen Erfahrungswissen, regionale Strategien und Mitverantwortung für Umwelt und Umfeld.
„Wir sind doch nicht Produktionsidioten!” Ueli Hurter, einer der Vorstände der landwirtschaftlichen Sektion des Goetheanums in Dornach, brachte es bei seinem Werkstattbericht anlässlich der Generalversammlung von Demeter Österreich in Wien auf den Punkt: Wer sich mit bio-dynamik beschäftigt hat mehr im Auge. „Nennen wir es doch Agro-Kultur – auch die Präparate sind menschengemacht!”
Welche Menschen hinter den dann verfügbaren Produkten stehen und was ihre Intention ist, daran arbeitet die Landwirtschaftliche Sektion seit 2011. Da wurden die Positionen umgekrempelt. „Wenn ich ein hehres Ideal verfolge werde ich immer nur nachhinken. Die Frage war: Wie kommt es von Brennpunkten zu Leuchtpunkten? Denn Demeter konkretisiert sich in jedem einzelnen.”
So wurden die 600 Teilnehmer und Teilnehmerinnen auf die Bühne gebeten. Ihre Fragen, ihre Ansprüche an sich selbst, ließen sich schließlich auf drei Anker- punkte reduzieren – drei Au_ räge aus der Zukunft.

1. dass unsere Höfe gute Höfe sind. Die hand-werkliche Arbeit gediegen, die Kühe wirklich ge-sund, die Produkte fröhlich.
2. dass wir einen inneren Weg gehen – persönlich, vielleicht spirituell mit der Frage nach dem wesensgemäßen, mit dem wir umgehen.
3. dass wir die großen Zeitfragen nicht verschlafen wollen: Welthunger, Klimawandel, Massen-tierhaltung – da bin ich Zeitgenosse.

Jeder Anspruch an sich ist schon schwer genug zu erfüllen. Alle drei unter einen Hut zu bringen er- scheint als Unmöglichkeit. Und doch ist das die Herausforderung: „Der Praktiker – der Esoteriker – der Sozialiker: Wir können uns nicht mehr au_ eilen.”, so Hurter. Es geht um Antworten auf die Frage: Was ist zukunftsfähige Land- und Ernährungswirtschaft?

Land- und Ernährungswirtschaft, zukunftsfähig
Internationale Experten wissen es längst. Der Weltagrarbericht 2008 nennt als zukunftsfähig: ökologisch, regional, basierend auf Erfahrungswissen, multifunktional.
Anders, wenn man die großen Player in der Landwirtschafts- und Ernährungsindustrie fragt. Dann lautet die Antwort: technologisch. Molekularbiologie, Expertenwissen, große Entfernungen, Produktion ohne Rücksicht auf kleinräumige Strukturen.
Hurter: „Landwirtschaft ist doch eine Dienstleistung an der Natur und der Soziäteät! Ich kann, um Hungerprobleme zu lösen, nur von den Regionen her denken.” Auch die Überbetonung des Expertenwissens gegenüber dem Erfahrungswissen ist kritisch zu sehen: „Alle genialen Techniken sind doch so entstanden: Hingehen, ausprobieren, beobachten, mitdenken, begleiten.” Der Weltagrarbereicht stünde damit dem Landwirtschaftlichen Kurs von Rudolf Steiner sehr nahe. „Es ist nicht eine andere Welt, es ist nur ein anderes Vokabular.”
Zukunftsfähig heißt auch, für gewisse Ziele in Allianzen zu gehen. Am Beispiel Gentechnik ist das gelungen, es setzt aber auch eine innere Haltung voraus: Sich als einer im Kreis hinzustellen, nicht als Mittel- punkt. Gerngesehener Partner sein und nicht Besserwisser. „Greenpeace hat ein ganz anderes Bild von der Pflanze: Die meinen wirklich, dass die Pflanze allein durch die Genetik bestimmt ist. Das meine ich nicht.”

Innere Haltung: Der Mensch ist nicht der Störenfried
Umso wichtiger ist es, für sich selbst zu wissen, wofür man steht – nur dann kann man frei zuhören, bleibt beweglich. Bio-dynamik fußt hier auf ihrem Gründungsimpuls, der Anthroposophie. Hurter formuliert das so: „Wenn ich nach dem Geistigen frage so, dass es nicht oben ist, sondern innen.”
Der Mensch, der selbst Geistiges im Leiblichen verbindet, wird zur Grundlage gemacht. Was wieder die Beziehung mit der Natur hervorstreicht:
Tier – Pflanze – Stein – in ihre Reiche sind wir physisch verstrickt, aus den gleichen tragenden Qualitäten erwachsen: Körperlichkeit und Bewegungsfähigkeit – Tier, Lebendigkeit und Atmung – Pflanze, Baustoff – Stein. Hurter bringt soziale Qualitäten, so genannte „soft skills” dieser Reiche als Entwicklungsleitfäden in die Diskussion:
„Das Tier stellt Netzwerk her, es ist Beziehungsschöpfer. Das Wesen der Pfl anze ist Off enheit: sie zeigt was vor Ort ist, um dann in ihre Entwicklung einzutreten. Und der Bo- den Ehrlichkeit: Wir müssen ihn nehmen, wie er ist, um darauf Entwicklungsarbeit leisten zu können.”
Individualität ist ein kulturwissenschaftlicher Begriff – bio-dynamische Bauern und Bäuerinnen wenden ihn auch für den Hof an. Auch innere Freiheit sei Basis der Anthroposophie. „Und wenn ich Freiheit sage muss ich auch Verantwortung sagen …”
Der Mensch als Störenfried, wie die Ökologiebewegung ihn gerne zeichnet, das sei dabei nicht die Haltung: „Der Mensch ist Quelle neuer Impulse, ihn raus- rechnen ist nicht der Weg!” Am Beispiel Tierhaltung: Ist es Versklavung, Haustiere zu haben? Oder kann ich, wie das französische Wort l‘èlevage es ausdrückt, Tierhaltung auch als ein Heraufheben gestalten – wesensgerecht, um Beziehung besser zu gestalten?
Das sind Fragen und Antworten, die nicht nur auf der rationalen Ebene wirksam werden. „Meditieren meint: Was man weiß, in Andacht erheben. Die einzelnen konkreten Dinge im Herzen tragen, sich innerlich menschlich verbinden”, zitiert Hurter. Agri-Kultur eben, wie sie nur der Mensch in seiner Sonderstellung als Individualität, als geistig-physisches Wesen machen kann.

Ueli HurterUeli Hurter von der landwirtschaftlichen Sektion war heuer bereits zweimal für Vorträge in Österreich

Den Kreis schließen
Die Erde nährt uns. Wir müssen ihr etwas zurückgeben. Hurter regt an, die Kette – vom Saatguthersteller zum Bauern zum Zwischenhändler zum Händler zum Konsumenten – zu einem Kreis zu schließen: „Jeder sieht immer nur den nächsten Nachbarn, und dann wird Druck weiter gegeben: Als Bauer kann ich den Druck nur auf den Boden weitergeben ….” Steht man im Kreis ist das anders: Die Mitte ist frei, es wird ein Agieren im Angesicht der Anderen.

Linktipp: Mehr von Ueli Hurter auf youtube.com unter dem Titel: Verantwortung des Menschen für Tiere und Pflanzen (Hermestagung in Salzburg). Eine Aufzeichnung des Werkstattberichts folgt.

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