Heilpädagogik & Sozialtherapie

Anthroposophische Heilpädagogik und Sozialtherapie hat zum Ziel, Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Behinderungen eine individuelle leibliche, seelische und geistige Entwicklung zu ermöglichen, ihnen zu einem Leben in Würde und Selbstbestimmung zu verhelfen, die Integration in die menschliche Gemeinschaft und Gesellschaft zu fördern und ihren Beitrag für die Gesellschaft sichtbar werden zu lassen.

27f068dd0cDie heilpädagogische Aufgabenstellung

Wer Kinder mit Entwicklungsproblemen und Behinderungen erziehen will, „der ist niemals fertig, für den ist jedes Kind wieder ein neues Problem, ein neues Rätsel. Aber er kommt nur darauf, wenn er geführt wird durch die Wesenheit im Kind, wie er es im einzelnen Fall machen muss. Es ist eine unbequeme Arbeit, aber sie ist die einzig reale.“ 

– Heilpädagogischer Kurs, Rudolf Steiner

Erkenntnis-Praxis Kunst

Integration von Erkenntnisbildung und Praxiserfahrung

Der anthroposophische Ansatz geht von der Erfahrung aus, d.h. er vermittelt nicht primär theoretische Inhalte, die später in der Praxis angewendet werden sollen, sondern integriert Erfahrungs- und Erkenntnislernen zu einer Einheit. Der Vorzug dieser Methodik liegt darin, dass die Erkenntnisbildung durch konkrete und individuelle Erfahrungen geleitet und herausgefordert wird und somit nicht einen einseitig theoretischen Charakter annimmt, dem es an der Brücke zur Praxis mangelt. Umgekehrt kann die konkrete heilpädagogische Arbeit nie nur anwendungsbezogen erfüllt werden, sondern alle Aufgaben, die sich im Praxisfeld ergeben, müssen reflektierend erfüllt werden können. Es geht also immer um eine gegenseitige Durchdringung und Verlebendigung der beiden Lernfelder.

Der heilpädagogische oder sozialtherapeutische Beruf erfordert eine authentische und individuelle Handlungsweise. In der konkreten Situation zwischen dem Heilpädagogen und dem Kind (resp. dem Sozialtherapeuten und dem Erwachsenen) muss ein schöpferischer Prozess entstehen, um dessen Entwicklungsbedürfnissen zu entsprechen. Diesen Prozess kann man auch als einen sozialkünstlerischen bezeichnen.

Erweiterung und Vertiefung durch die Kunst

Die künstlerische Übung in der Ausbildung gibt den zukünftigen Heilpädagogen und Sozialtherapeuten die Möglichkeit, Erfahrungen im Medium der Künste zu machen und sie später in der beruflichen Arbeit einzusetzen. Darüber hinaus geht es aber auch darum, den künstlerischen Prozess sowohl in die Erkenntnisbildung als auch in die Handlungssituationen einzubringen. Die unterschiedlichen Formen künstlerischer Tätigkeiten helfen auch, den Lebensraum und das soziale Umfeld von Menschen mit Behinderungen zu gestalten.

Durch den Bereich der Kunst erweitert sich die Ausbildungsmethodik zu einem ganzheitlichen, trialen Ansatz, der Erkenntnis, Praxis und Kunst gleichgewichtig vereint. (Aus dem Handbuch Ausbildung)

Heilpädagogik


aaef6dfcb9Wer Kinder mit Entwicklungsproblemen und Behinderungen erziehen will, „der ist niemals fertig, für den ist jedes Kind wieder ein neues Problem, ein neues Rätsel. Aber er kommt nur darauf, wenn er geführt wird durch die Wesenheit im Kind, wie er es im einzelnen Fall machen muss. Es ist eine unbequeme Arbeit, aber sie ist die einzig reale.

– Heilpädagogischer Kurs, Rudolf Steiner

Frühberatung

Schon in den ersten Lebensjahren, manchmal schon den ersten Lebensmonaten können entscheidende Hilfen für Kinder mit Entwicklungsstörungen oder –verzögerungen gegeben werden. Neben den heilpädagogischen, ärztlichen und therapeutischen Massnahmen für das Kind selbst ist die Beratung und Unterstützung der Eltern ein wichtiger Bestandteil.

Heilpädagogische und integrative Kindergärten

Die heilpädagogische Förderung geschieht hier in der Gemeinschaft mit anderen Kindern. Die Anregungen für die Entwicklung eines Kindes kommen aus einer gestalteten Umwelt, die Anregungen z.B. durch das heilpädagogische Spiel und durch therapeutische Angebote bietet.

Heilpädagogische Schulen, Kleinklassenzüge und Integrationsschulen

35d01d8d21Die heilpädagogischen Schulen vermitteln einen Bildungsgang auf der Grundlage der Waldorfpädagogik. Er zeichnet sich aus durch Altersgemässheit der Inhalte, Vertiefung des Lehrstoffes in Epochen und Lernen im Wechsel zwischen Klassengemeinschaft und individueller Förderung. Diese umfasst auch medizinische und therapeutische Betreuung. Heilpädagogische Schulen gibt es in unterschiedlichen Konzeptionen: als Heilpädagogische Tagesschulen, als Kleinklassenzüge an Waldorfschulen, als Schulen in Heimen und als integrative Schulen.

Schulgemeinschaften, Heimsonderschulen, Institute für Seelenpflege-bedürftige Kinder. Sie sind für Kinder bestimmt, die aufgrund ihrer persönlichen, familiären oder sozialen Umstände eine ganzheitliche Betreuung, Förderung und Lebensgestaltung brauchen. Hier wirken Lebensbereich (Heim), Schule und Therapie eng zusammen und bilden eine funktionale, soziale und methodische Einheit.

Ambulante Heilpädagogik

Hier werden Kinder mit Entwicklungsstörungen, Schulproblemen und seelischen Schwierigkeiten mit dem Ziel betreut und gefördert, sie im Regelkindergarten oder ihrer Regelschule und ihrer Familie belassen zu können.

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Sozialtherapie

Lebensgemeinschaften für Erwachsene

Sie bieten eine ganzheitliche Lebensgestaltung, in der Wohnen, Arbeit, Freizeit und kulturelles Leben miteinander verbunden sind. Viele dieser Einrichtungen sind Gemeinschaften von behinderten und nichtbehinderten Menschen. Als eigenständige Lebensform haben sie die Aufgabe, sich als Subsystem mit ihrer Umwelt zu vernetzen, aber insbesondere auch das Anliegen, die individuellen Lebensumstände ihrer einzelnen Bewohner zu unterstützen. Einrichtungen dieser Art finden sich sowohl im städtischen wie im ländlichen Umfeld.

Arbeitsbereich Tageswerkstatt

Sie bietet Arbeitsmöglichkeiten in der Herstellung von Produkten, die ästhetischen Wert und Gebrauchsfähigkeit miteinander vereinbaren und deren Herstellungsprozesse den Menschen entsprechen, die sie produzieren. Sie führen die mitarbeitenden Menschen zu einem sozialen Organismus zusammen. Neben verschiedenen Produktionsbereichen gibt es auch therapeutische Angebote und die Möglichkeit zur Weiterbildung.

Wohngemeinschaften und Betreutes Wohnen

Sie verbinden die Unterstützung in der Selbstversorgung mit dem Zusammenleben mit anderen. Menschen, die selbständiger leben möchten und können, finden im Betreuten Wohnen individuelle und soziale Unterstützung. Neben der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen gibt es auch Angebote für Suchthilfe, Sozialpsychiatrie und andere Felder sozialer Arbeit.

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Geschichte und Entwicklung

Die Anfänge der anthroposophischen Heilpädagogik und Sozialtherapie reichen zurück bis in die zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Damals traten junge Menschen mit der Bitte an Rudolf Steiner heran, sie beim Aufbau einer Einrichtung für behinderte Kinder und Jugendliche zu unterstützen. Daraus entwickelte sich das

Heil- und Erziehungsinstitut für Seelenpflege-bedürftige Kinder Lauenstein in Jena. Steiner besuchte die neugegründete Einrichtung und beriet das Kollegium in heilpädagogischen Fragen. Steiner selbst hatte sich in jungen Jahren intensiv der Förderung eines Kindes mit Hydrozephalus gewidmet und hatte selbst einen behinderten Bruder.

Entwicklungsprobleme von Kindern beschäftigten ihn auch an der ersten Waldorfschule in Stuttgart. Hier wurde eine Hilfsklasse eingerichtet, um die Kinder, die dem Unterricht nur schwer folgen konnten, besonders unterstützen zu können.

Das Klinisch-Therapeutische Institut in Arlesheim begründet von der Ärztin Ita Wegman, nahm neben den allgemeinen Patienten auch Kinder mit Behinderungen auf, deren Förderung und Betreuung später im Kinderheim Sonnenhof einen Schwerpunkt fand.

In den ersten Jahren entwickelten sich in rascher Folge weitere heilpädagogische Einrichtungen in Deutschland, der Schweiz, England, Island, Finnland und Holland. Diese einsetzende Entwicklung wurde jedoch durch das Dritte Reich behindert und bedroht. Erst nach dem 2. Weltkrieg gelang eine Ausbreitung im grösseren Umfang. Es entstanden auch Ausbildungs-möglichkeiten für Heilpädagoginnen und Heilpädagogen. In den fünfziger Jahren kamen die ersten Einrichtungen für behinderte Erwachsene hinzu. Die internationale Zusammenarbeit fand ihren Niederschlag in Tagungen, Arbeitskreisen und Organen der Zusammenarbeit.

Anfang der sechziger Jahre gab es weltweit 111 Einrichtungen für Seelenpflegebedürftige Menschen in 12 Ländern.

Die sechziger und siebziger Jahre brachten sowohl eine weitere Ausbreitung als auch die rechtliche und sozialpolitische Sicherung der Heilpädagogik und Sozialtherapie. In vielen Ländern entstanden Verbände und weitere Ausbildungsstätten.

Eine weitere internationale Ausbreitung erwuchs durch den Fall des Eisernen Vorhangs. Inzwischen gibt es Einrichtungen in fast allen Ländern des früheren Ostblocks.

Einrichtungen

Einrichtungen für anthroposophische Heilpädagogik und Sozialtherapie sind öffentliche Angebote. Sie stehen allen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen unabhängig von weltanschaulichen, religiösen oder ethnischen Gesichtspunkten offen.

In den meisten Ländern sind sie Teil des sozialen und staatlich geförderten Systems sozialer Angebote. Sie sind vernetzt mit anderen Verbänden und Trägern der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen.

Oberstes Ziel ist die individuelle Unterstützung und Förderung des einzelnenen Menschen. Diesem Ziel dient auch die Zusammenarbeit mit den Angehörigen und die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Fachpersonen.

Die Einrichtungen sind selbständige Rechtspersonen, die sich in Landesverbänden und internationalen Assoziationen zusammengeschlossen haben.

International

Anthroposophische Heilpädagogik und Sozialtherapie hat sich von jeher übernational entwickelt. Ausgehend von Mitteleuropa, wo die ersten Einrichtungen aufgebaut wurden, hat sie sich in heute über 40 Ländern auf allen Kontinenten ausgebreitet.

Regelmässig stattfindende Internationale Kongresse, ein formales Netzwerk, das die kontinuierliche Zusammenarbeit an den wesentlichen Fragen ermöglicht, und nicht zuletzt das Engagement vieler Einzelner tragen dazu bei, dass ein Ganzes entsteht. In ihm finden Prozesse gegenseitiger Unterstützung und Ergänzung statt, die dazu helfen, die Methode der anthroposophischen Heilpädagogik und Sozialtherapie weiterzuentwickeln. Nur dann können die Angebote und Hilfen für Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen das leisten, was heute gebraucht wird.

In der Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie ist das internationale Netzwerk der Angebote und Einrichtungen für anthroposophische Heilpädagogik und Sozialtherapie organisiert.

Die Konferenz ist Teil der Medizinischen Sektion, Freie Hochschule am Goetheanum, Dornach / Schweiz.

Als runder Tisch führt sie Repräsentanten der Länder und Arbeitsbereiche, Mitarbeitende und Angehörige, zusammen.

Ihre Aufgaben sind:

  • die Wahrnehmung der Entwicklung der anthroposophischen Heilpädagogik und Sozialtherapie
  • die Anregung und Förderung des Informationsaustauschs zwischen den Ländern
  • gegenseitige Beratung und Unterstützung
  • Forschung und Forschungsaustausch
  • Ausbildung und Weiterbildung von Mitarbeitern

Mit freundlicher Genehmigung durch anthromedia.net zur Verfügung gestellt.