Der Farbenkreis

… als Wahrbild der Wirksamkeit des Farbigen in der Welt.
Text: Christoph Eisert

Wir zeigten in den bisher besprochenen Phänomenbereichen (siehe unten, es wären noch weitere auszuführen), wie sich Farbe wirksam zeigt und wie dies Goethe in seinem Farbenkreis zum Ausdruck bringt. In diesem Beitrag möchten wir die Ausführungen bezüglich des Farbenkreises vertiefen.

In den farbigen Nachbildern antworten unsere tätig regsamen Augen auf die Einwirkung eines fordernden Farbreizes mit einer Gegenwirkung, der Gegenfarbe. Das Auge ergänzt den Farbreiz mit der geforderten komplementären Farbe. Diese sich gegenseitig fordernden Farbenpaare ordnet Goethe naturgemäß im Farbenkreis gegenüber an.

Tätig regsame Augen

Farbe und Gegenfarbe bilden jeweils eine Einheit, sie umfassen jeweils den Farbenkreis, wie Goethe darstellt. Auf Gelb antwortet das Auge mit Violett, in dem Blau und Purpur liegen. Im Orange liegen Gelb und Purpur, ihm entspricht Blau und im Grün liegen Gelb und Blau, diesem entspricht Purpur und so in allen verschiedenen Farbmischungen. Das Auge verinnerlicht mit dieser Gesetzmäßigkeit den Farbenkreis. Als Geschöpf des Lichtes kann es dieselben Farben hervorbringen, wie sie das Licht hervorbringt. Es wird damit fähig, die Farben im Außen wahrnehmen zu können.

Auch in den beiden farbigen Halbschatten erscheinen die Komplementärfarben als eine zusammengehörende Einheit. Dieses Farbphänomen ist in gewissem Sinne das nach außen gewendete Nachbildphänomen.

Ganz anders die Gesetzmäßigkeit bei den Farben durch trübe Mittel. Mit Hilfe der durchhellten Atmosphäre vor der Finsternis wird diese zu Blau aufgehellt, die abdunkelnde Atmosphäre lässt Gelb am Licht erscheinen. In allen Phänomenen der Farbe, die durch trübe Mittel hervorgebracht werden, liegt diese Gesetzmäßigkeit vor. Aufgehellte Finsternis ergibt Blau bis Violett, abgedunkeltes Licht Gelb bis Rot. Goethe nennt es das Urphänomen – davon im nächsten Artikel.

Grundfarben Gelb und Blau

Für Goethe sind Gelb und Blau die Grundfarben, aus denen sich der Farbenkreis aufbaut. Der jeweils gesteigerte Farbeindruck vom Gelb zum Rot bzw. vom Blau zum Violett geht einher mit einer Zunahme der Trübe bzw. ihrer Abnahme. Innerhalb des sich am Himmel oft sichtbaren offenbaren Geheimnisses des Urphänomens zeigt sich der polare Aufbau des Farbenkreises in warmen (Gelb, Orange, Rot) und kalten Farben (Blau, Indigo, Violett).

Grünspektrum und Purpurspektrum

Bei den prismatischen Farben finden wir an den Schwarz-Weiß-Grenzen bzw. Weiß-Schwarz-Grenzen wieder die gelb-roten bzw. blau-violetten Farbabfolgen in brilliant leuchtenden Farben. Auch hier zeigt sich die Wirksamkeit des Urphänomens. Gelb-Rot erscheint, wenn die Lichtseite an der Grenze verschieden intensiv abgedunkelt wird, Blau-Violett, wenn die Finsternisseite verschieden stark an der Grenze aufgehellt wird.

Wenn der helle Bereich zwischen zwei Grenzen so eng wird, dass Gelb und Blau ineinander wirken, so ergibt sich Grün als einfache Mischung. Wird der dunkle Bereich zwischen zwei Grenzen sehr schmal, dann erscheint die neue Farbe Purpur als gesteigerte Mischung aus den gesteigerten Farben Rot und Violett. Das Grünspektrum umfasst den gesamten Farbenkreis mit Ausnahme des Purpur, das Purpurspektrum den gesamten Farbenkreis mit Ausnahme des Grün.

Versuche mit Tinkturen und Folien

Auch mit transparenten Tinkturen lassen sich Grün und Purpur darstellen. Eine gelbe und eine blaue Tinktur ergeben in zwei Küvetten hintereinander aufgestellt Grün. Rot als gesteigerte Gelbtinktur und Violett als gesteigerte Blautinktur ergeben hintereinander aufgestellt Purpur. Lassen wir Licht durch transparente Folien scheinen, dann gelingt es, mit einer gelben und einer blauen Folie Grün zu mischen. Hierzu legen wir die Folien aufeinander und schauen durch sie gegen das Licht. Ebenso bekommen wir die Farbe Purpur mit einer roten und einer violetten Folie gemischt.

Beim Malen gelingt es jedoch kaum, die Farbe Purpur aus Rot und Violett zu mischen. Die entstehende Farbe ist sehr stumpf. Purpur benötigt offensichtlich eine besondere Lebendigkeit der Ursprungsfarben Rot und Violett bzw. die durchlichtete Situation wie bei den Tinkturen oder Folien. Mit den heute verfügbaren Pigmentfarben gelingt der Mischungsversuch nicht zufriedenstellend. Deshalb benutzt man im Druck zusätzlich zu den nicht mischbaren Farben Gelb und Cyanblau eine eigenständige Farbe Magenta. Vielleicht wird es in der Zukunft Pigmentfarben geben, mit denen man dann auch Purpur mischen kann. Goethe nennt die Pigmentfarben gewordene Farben, sie sind in ihrem Werdeprozess an einem Endpunkt angekommen und haben einen Teil ihrer Lebendigkeit eingebüßt. Dies wird auch ein wichtiger Grund sein, dass Purpur nicht wirklich als Mischfarbe herstellbar ist. Es bedarf eines fortgeschrittenen künstlerischen Könnens, wenn den Pigmentfarben im Malprozess für die Anschauung das Lebendige, das sich z. B. in brillianter Farbe äußert, wieder zurückgegeben wird.

Mit diesen Ausführungen sollte gezeigt werden, wie der Farbenkreis Goethes sich aus den Naturphänomenen ergibt, bzw. der Farbenkreis als Wahrbild die Naturgesetze des Farbigen in der Welt offenbart.

Bisher erschienen:

Farbe – real, physiologisch, physisch: Auf den Spuren von Goethes Farbenforschung Ausgabe 1/17

Physiologische Farben am Beispiel der farbigen Nachbilder Ausgabe 2/17

Farbige Schatten Ausgabe 3/17

Der blaue Himmel und die Dämmerungsfarben Ausgabe 4/17

Prismatische Farben in ihrer Polarität und Komplementarität Ausgabe 1/18

nachzulesen auf wegweiser-anthroposophie.at

Wir danken Christoph Eisert und dem Förderverein für Goetheanistische Farbenlehre e. V., Vormerkungen für den Experimentierkasten bitte an c-eisert@web.de

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