Der Erwachsene: Vom Umgang mit starken Gefühlen in der Selbsterziehung.
Reinhard Apel im Gespräch mit Stefan Kargermeier, Künstler
Der Ärger ist eine sehr überraschende Angelegenheit. Man ärgert sich! Wumms, es ist passiert. Dann bleibt er einem auch noch länger, der Ärger. Denn man ärgert sich nachher auch noch – einfach, weil man sich geärgert hat oder weil einen der Ärger von anderen Sachen ablenkt. Oder auch deshalb, als sich bemühender Mensch, weil es ärgerlich ist, dass man sich so leicht ärgern kann.
Man hat nachher natürlich entdeckt, was einen besonders geärgert hat. Nun könnte man den eigenen Ärger erforschen, bearbeiten. Ich habe mir aus einer von Steiner kommenden Anregung eine dreitägige Verbildlichungsübung verfertigt. Es ist dabei wichtig, dass ich nicht viel spekuliere, weshalb ich mich ärgere oder meine Emotion rechtfertige. Denn ich sehe mich da natürlich im Recht. Der Andere verhielt sich aus meiner Sicht ja unmöglich!
Wie kann man sich ein Bild einer Situation schaffen? Wie hat die den Ärger auslösende Person ausgeschaut, wo bin ich gestanden, wie sind die Möbel gestanden, wie ist das Licht gewesen, wie hat der Raum ausgesehen?
Im Nachhinein richte ich die Aufmerksamkeit darauf, mir ein möglichst exaktes Bild der mit Ärger behafteten Situation vorzustellen, vor allem eines der äußeren Situation und diesmal nicht eines meiner seelischen Lage. Alles fast schon fotografisch genau.
Ist das die eigentliche Übung, so vorzugehen? Nicht die Stimmung zu erinnern, sondern wie die ganze Situation ausgesehen hat?
Normalerweise analysiert man, warum man sich ärgert. Durch dieses „Warum“ komme ich persönlich nicht wirklich weiter, es soll vielmehr ein Bild entstehen. Du bildest in Dir den Schauplatz des Geschehens nach, möglichst exakt, als Bühne. Beim Versuch am ersten Tag merke ich: Ich habe fast keine Erinnerung an die äußeren Gegebenheiten, nur mein Ärger ist im Gedächtnis da. Nun will ich mir bei der in der Wiederholung der gleichen Situation die äußeren Umstände einprägen.
Die Problemsituation wiederholt sich?
Ja. Es ist etwas vorhanden, was mich normalerweise jeden Tag wieder stören wird. Ich beobachte nun die Situation und bemerke, dass selbst der Gegenstand meines Ärgers bisher nicht von mir genau wahrgenommen worden ist. Also im konkreten Fall beim Studienkollegen „Y“ das Schnaufen. Dabei ist wurscht, warum er die blöden Geräusche macht/Gleichgültig, warum er das macht. Ich habe einfach innerlich gekocht dabei, fertig. Ich stehe also an meiner Staffelei während der Ausbildung, will malen und gleich nebenan ist der „Y“. Eigentlich ein lieber Kerl, aber er schnauft halt extrem beim Malen. Er atmet stark und laut hörbar durch die Nase. Ich kann mich so nicht mehr konzentrieren und das stört mich unglaublich. Ich werde dadurch ganz narrisch, und der Gedanke taucht in mir auf: Der „Y“ muss weg! Er darf mich doch nicht aus der Malübung reißen, der Ungustl.
- In der ersten Rückblickphase, bei der ersten Verbildlichung sagt mein Gefühl nach wie vor: Du hast dich völlig zurecht geärgert. Das habe ich auch zugelassen. Ich habe nicht am natürlich aufkommenden Gefühl herumgemodelt. Wie gesagt, der Ärger war dominant da im Gedächtnis, aber fast nichts vom äußeren Ambiente war erinnerlich. Ich habe alles dann am zweiten Tag in der Früh besser beobachtet. Ich wollt ja die Situation später genau nachbilden.
Du hast sein Schnaufen wohlwollend beobachtet?
- Am Abend beim zweiten Verbildlichen dann, habe ich viel mehr Wahrnehmungen der Umgebung zur Verfügung gehabt. Die Farben, die Gerüche, die Stühle und andere Gegenstände, weitere Personen im Raum und nicht in erster Linie nur die Wahrnehmung des unguten Schnaufens. Um Letzere geht es aber eben gar nicht. Dann bin ich tags darauf wieder an der Staffelei gestanden und habe mir das Drumherum nochmals eingeprägt, während der andere natürlich munter schnaufte.
- Bei der dritten Verbildlichung war der Ärger wie von alleine weitgehend verschwunden. Ich habe nichts an den natürlichen Gefühlen gemacht. Es hat mich eigentlich schon gelangweilt, mich über dieses Schnaufen zu ärgern. Der Zusammenhang zwischen Schnaufen und Ärgern war nicht mehr da. Am darauffolgenden Tag war die zuvor anstrengende Situation für mich weitgehend in Ordnung.
Hast du am vierten Tag schon synchron mitgeschnauft?
Nein, natürlich ned. Die Beschäftigung mit der Situation als „ins Bild bringen“ hatte eine verblüffende Wirkung. Das ist mein Punkt. Es ist auch wirklich anstrengend, ganze zehn Minuten hernach herum zu probieren, wie das alles eigentlich ausgeschaut hat. Es geht überhaupt nicht darum, das Gefühl wieder hervorzuholen, sondern die objektive Situation wieder zu erleben. Natürlich fällt es mir als Künstler vielleicht leichter Farben und Formen wieder zu erinnern. Wichtig aber ist die Erfahrung:
Beim ersten Mal war es störend, beim zweiten Mal interessant, beim dritten Durchgang normal?
Ich hab mir nichts einreden müssen, der Friede hat sich von selbst ergeben. Die Tätigkeit des Verbildlichens hat den Ärger überflüssig gemacht. Eine Überraschung. Ich möchte noch hinzufügen, wie froh und dankbar ich bin, solche praktischen und hilfreichen Anregungen in der Anthroposophie gefunden zu haben.
