Der Weg zu mir

Text: Malcolm Allsop

Wie komme ich zu mir? Nun am besten mit dem 13A Bus vom Hauptbahnhof bis zur vorletzten Haltestelle. Oh, Thema verfehlt, meinen Sie? Naja, U1 bis zur Taubstummengasse wäre auch eine Möglichkeit, vor allem mittwochs. (Haus der Anthroposophie. Anm.)

Oder ich gehe ins „Secret Garden Restaurant“ in der Raimund Passage (erschwinglich, und gesundes Essen mit einer besonderen Ambiente). Damit kämen wir der Sache etwas näher vielleicht. Mit dem Kinderbuch-Klassiker „The Secret Garden“ von Frances Hodgson Burnett sind viele Generationen aufgewachsen – ein geheimnisvoller Ort hinter einer großen Mauer und einer lang verschlossenen Tür, ein Garten der auf jemanden wartet, der ihn neu zum Blühen bringt – eventuell mit einem Gärtner zur Hand, der anleitet….

Nur, damals habe ich mir sicherlich noch nicht den Kopf mit der Frage zerbrochen: der Weg zu welchem mir?  Das Buch hat einfach zu jedem gesprochen, zugegebenermaßen schon ahnend, dass es eine tiefere Schicht berührte als manche Alltags-Vorlieben oder Hobbys.

Eine erste Differenzierung trat dann im jugendlichen Alter ein, als ich meinte festzustellen, ich bestehe zu etwa  99%  aus dem was ich von meinen Eltern bekommen habe, (geerbt, nahe gelegt), während von mir ganz schön wenig ‚Originelles‘ dabei war. Aber, ein klares Bewusstsein dass ich durchaus selbst etwas bin, das hatte ich, trotz des ganzen Rankenwerks drumherum.

Viel später machte eine autobiographische Schilderung von dem Autor Eckhart Tolle (geb. 1948 in DE.) auf mich großen Eindruck . Er beschreibt wie mit 29 seine Phasen von chronischer Depression  in einem absoluten Tiefpunkt  kulminierten, wo der instinktive Wunsch zu leben zunehmend von einer Sehnsucht zu sterben überschattet wurde . Der Gedanke wiederholte sich in ihm:

 „I cannot live with myself any longer!“ ( „Ich kann nicht länger mit mir leben.“)

Auf einmal merkte er welch ein seltsamer Gedanke das war:  „Bin ich eins, oder zwei?“ Vielleicht ist nur eins von den beiden real, kam ihm als Gedanke.  Darauf folgte ein erstaunliches Erwachen in seiner Wahrnehmung für die Umgebung  und in seinem Bewusstsein für das, was wirklich in ihm, in einem leben kann. Einige Monate lang hielt dieses Erlebnis bei ihm an, bildete ein Fundament für seine daraus entstehenden Bücher, wo er versucht den Weg zu unserem ‚wahren Selbst‘ zu beschreiben und zu vermitteln.

Der Weg zu Mir  –    .. zu welchem Mir?

Wahrscheinlich dachte die Wegweiser-Redaktion schon eher an dieses ‚wahre Mir‘, an den Herrn im Haus, genauer gesagt den potenziellen Herrn im Haus, nicht an den,  mit welchem wir uns abplagen, uns verführen lassen, der zum Versteckspiel einlädt oder tagsüber flanieren geht.  Also das Mir, welches es aushält, oder auch nicht, mit den Kapriolen und Launen meines Alltags – Mir -Bewusstsein.

Etwas präziser formulierte es Eugene Ionesco in seinen Tagebüchern:„…dass mein wahres Selbst jenes ‚Ich‘ ist , dass mich beobachtet. Ich bin nicht diese Leidenschaften, scheint mir, ich bin derjenige welcher sie wahrnimmt, beobachtet, kommentiert, bedenkt…“Noch knapper gesagt: was ich habe ist mein Erdenschicksal und vergänglich. Was ich bin ist mein Wesen und ist ewig. (Zitat einer Kollegin.)

Damit ist mein Ich Bin  geistverwandt, in der Lage Geist-Vermittler zu sein, mein Erdenschicksal zu lenken. In der Lage, aber es gelingt nicht automatisch. Wenn mein Ich Bin nicht wach ist steht das Ich welches ich nur habe, am ehesten mitten auf der Alltags-Bühne.  Kurzum die Frage „Der Weg zu mir“ verstehe ich als der Weg zu meinem Ich Bin, mein Wesen mit Ewigkeitscharakter.

Und der Weg dahin?

Dank dem ganzen Paket von Menschheitshilfen die in den vergangenen Jahrzehnten sich breit gemacht haben, sind wir weitgehend von Fließbandarbeit befreit worden, von dem Weg zur nächsten Telefonzelle (abends im Regen!) und dadurch frei zum….Dank des wachsenden Pakets von Maschinen die Besser-Wisser, Mitfühlende(?) sind, bin ich frei zum Überlegen:  Wer bin  ich eigentlich und was habe ich nur geerbt, mir angeeignet an bestimmten seelischen oder handwerklichen Fähigkeiten usw. und bin daher der Meinung, das wäre ich?

Dieser Herausforderung, dieser Chance unserer Zeit können wir wohl dankbar sein, als klärende Hilfe auf dem Weg zu Mir. Diese Chance lauert zum Beispiel bei jeder Entscheidung die ich zu treffen habe: handle ich als Sohn meiner Eltern, als Engländer oder Spanier, handle ich aus der Eile des Momentes oder aus irgendwelchen egoistischen Gründen….oder spricht der Geist mit, durch mein Ich Bin-Wesen – eine Entscheidung die womöglich als irrational abgestempelt wird, aber logisch im höchsten Sinne des Wortes ist.

 

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