Wahrnehmung und künstlerischer Prozess

Karin Mack ist eine international bekannte Fotokünstlerin (siehe Wikipedia) mit persönlichem Bezug zur Anthroposophie. Sie gehörte ursprünglich in der Wiener Kunst­szene zum Kreis des Architekten und Literaten Friedrich Achleitner, dessen erste Frau sie war und mit dem sie zwei Kinder hat. Sie erklärte sich spontan zu einem Gespräch über Wahrnehmung und Kunst bereit, dass in Ihrer Wohnung im 5. Bezirk in Wien stattfand. Das Gespräch führte Reinhard Apel. 

Danke, dass Sie sich Zeit genommen haben.

Wahrnehmung kann auf den verschiedensten Ebenen stattfinden. Es ist ein Begriff der sehr vielfältig ist, aus so vielen Schichten besteht. Er ist daher schwer einzugrenzen. Ich kann darüber sprechen, wie sich die Wahrnehmung dann in eine künstlerische Arbeit umsetzt. Das ist ein Prozess, der sich vom optischen Wahrnehmen zum darüber Nachdenken, Nachsinnen fortsetzt. Also man fragt, was bedeutet das Gesehene, was bedeuten etwa Pflanzen. Ich habe in meinen Arbeiten viel mit der Natur zu tun, vor allem mit den Pflanzen. Wie leben die Pflanzen, welchen

Rhythmus durchlaufen sie während des Jahres? Entsprießen, blühen, Samen bilden und vergehen. Das ist wahrzunehmen, aber auch zusammenzudenken. Ich halte, was ich sehe, fotografisch fest und später kann daraus zum Beispiel eine Montage entstehen. Ich arbeite sehr viel mit Fotografien, die ich bearbeite, verdichte.

Man zeigt das später dem Betrachter, der sich in das Bild vertiefen kann. Da kommt dann die Wahrnehmung des Betrachters dazu und was er sieht, empfindet, entdeckt.

Der grüne Wald, den ich soeben gemacht habe, also die bearbeiteten Fotografien zu diesem Thema, kamen folgendermaßen zustande. Ich war auf verschiedenen kanarischen Inseln und bei La Palma gibt es einen Biosphärenwald. Er besteht aus verschiedenen Lorbeerbaumsorten, Bäume und Sträucher mit ungefähr 100 verschiedenen Varianten. Das wollte ich sehen, denn es musste unglaublich grün aussehen dort. Unsere Bäume hier haben ja die dunklen Stämme und vor allem bei den Nadelbäumen beginnt das Grün erst höher oben. So bin ich dorthin und es war sehr, sehr grün. Grün soll ja die meisten Nuancen aller Farben haben, hat mir jemand erzählt. Ich habe also hin und her fotografiert. Ich wollte wie immer ja keine Dokumentation machen, sondern eine Impression. Ich habe also verschiedene Fotos genommen, in einem Fall fünf Fotos, und habe sie zu einer Montage zusammengestellt. Vier Fotos und in der Mitte noch eines zusätzlich darüber projiziert, wie ein Sandwichbild sozusagen. Dadurch ist ein besonders intensives Grün und ein sehr starker Eindruck entstanden. Also die Wahrnehmung allein ist es nicht. Der Künstler muss daraus etwas machen. Eigentlich ist das immer so, sogar bei der Landschaftsmalerei. Auch da wählt man aus, betont etwas. Man sieht bei meinen Kunstfotos also nicht nur die verschiedenen Pflanzen, die da vorkommen, sondern auch die vielen Farbnuancen, die sich dadurch noch einmal stark ergeben, wenn Licht in verschiedenster Weise auf die Pflanzen auftrifft. Durch die Zusammenfügung der Fotos entsteht ein noch dichterer, intensiverer Eindruck.

Mir ist dabei aufgefallen, wie der Held in verschiedenen Märchen durch einen Wald gehen und Prüfungen bestehen muss, um zum Schloss oder zur Königstochter zu gelangen. In diesem intensiven Grün der Lorbeergewächse habe ich diesen Eindruck besonders schön wiedergefunden.

Sie gehen nicht herum und suchen nach Eindrücken?

Die Eindrücke kommen quasi zu mir. Die Natur hat mich immer sehr beeindruckt, sie ist ja so reich. Sie ist auch ein Teil von Christus aus anthroposophischer Sicht. Er ist als ätherisches Wesen überall, aber in der Natur meiner Ansicht nach ganz besonders präsent. Dann gibt es in der Natur auch die Naturwesen. In dieser Hinsicht hat mich der Marko Pogacnik eine Zeitlang sehr interessiert, der sich stark mit Naturwesen beschäftigt. Er hat festgestellt, dass verschieden Pflanzen verschiedene Naturwesen haben, die sie beschützen und nähren. Dass es für ganze Gebiete sogar eine Fee gibt, die auch Aufgaben verteilt für die niedrigeren Naturwesen.

Jetzt wäre natürlich die journalistische Provokationsfrage die: Wie nimmt der Marko Pogacnik das denn wahr?

Da hat er sich geschult. Das ist ähnlich wie im Buch „Wie erlangt man Erkenntnisse höherer Welten“. Ich glaube seine Tochter und seine Frau haben auch diese Begabung.

Ein Grund zum Heiraten.

Er hat das in einem Buch beschrieben, wie er in einem bestimmten Jahr quasi von den Naturwesen selber in die Welt der Naturwesen eingeweiht worden ist. Ich glaube auf einer fast unberührten Insel in Slowenien. Jedenfalls erzählt er, dort besondere Erlebnisse gehabt zu haben. Er hat ja auch Steinsetzungen gemacht, durchaus auch in mehr oder weniger öffentlichem Auftrag. Es gab in öffentlichen Parks im elementarischen Bereich Störungen, die offenbar auch von anderen Menschen wahrgenommen wurden. Dann wurde er gebeten, diese Störungen mit seinen Skulpturpunkten aufzulösen. Er hat das oft zusammen mit einer ganzen Gruppe gemacht, die Sensibilität für Aspekte des Übersinnlichen hatte.  Die behauenen Steine dienten dabei als Ankerpunkte für Naturwesen. Pogacnik trägt dabei einen Kristall mit sich herum. Er bittet ein Naturwesen, das vielleicht sehr traurig ist, sich da draufzusetzen und bringt es dann an den Ort, wo es wieder aufblühen kann, sich wieder mit der Gegend verbinden kann. Dadurch ergibt sich wieder eine positive Ausstrahlung an dieser Stelle.

Erstaunlich, das Gespräch wendet sich jetzt hin zum Wahrnehmen der Naturwesen. Das wäre dann in der anthroposophischen Terminologie die elementarische Welt. Damit habe ich nicht gerechnet.

Also das gibt es alles. Und ich glaube das auch, seit ich selbst die unerwartete Erfahrung mit dem Thron eines Baumwesens gehabt habe. Diese kam ja nicht aus einem Suchen nach elementarischen Naturwesen, sondern aus einem künstlerischen Prozess. Das war überhaupt keine sinnliche Erfahrung mehr. Im Nachhinein gesehen scheint mir da ein Naturwesen mitgeteilt zu haben, was es von mir wollte.

Dieses Erlebnis kam ganz von Ihnen, nicht weil sie Pogacnik gelesen haben?

Pogacnik tauchte für mich erst viel später auf. Es gibt ein Büchlein von einer, ich glaube, blinden Frau, die als Mädchen lange Zeit einen Art Wurzelstock mit sich herumgeschleppt hat. Sie hat alles Mögliche erzählt, was der Wurzelstock ihr so sagt. Wie sie dann 14,15 Jahre alt war, haben die Erwachsenen ihr gesagt: „Jetzt ists genug, jetzt schmeißt Du das Ding weg, jetzt ist die Zeit der Märchen vorbei und Du wirst erwachsen.“ Sie wusste aber, dass sie total verbunden ist mit diesem Wurzelstock und dem Wesen, dass da draufsitzt. Sie hat den Wurzelstock heimlich behalten und weiter mit dem Wesen kommuniziert. Sie hat dann auch bei anderen Baumstücken, Ästen und so weiter wieder Erlebnisse mit solchen Naturwesen gehabt. Es gibt immer wieder solche Menschen.

Also wir reden gar nicht so sehr, wie ich es mir vorgestellt habe, nur über die künstlerische Wahrnehmung als Anregung für die Menschen. Sondern die Wahrnehmung geht für Sie und vielleicht viele Künstler sehr bald über in einen inneren Prozess. Sehr verkürzt gesagt, hat sie der eigene künstlerische Schaffensvorgang in eine Nähe zu den Naturwesen gebracht, sodass sie solche Erlebnisse jetzt für glaubhaft halten. Verstehe ich das richtig?

DER THRON DES NATURWESENS

Durchaus. Es hat mit der Goldulme in meinem Garten in den Jahren, in denen ich in Holland lebte. Eine Goldulme ist in nicht ganz säulenförmiger, aber eher nach oben strebender Baum. Die Ulme stand auf einer Seite der Terrasse und mitten im Sommer ist auf einmal die eine Hälfte braun geworden. Ich dachte, oh je, was passiert denn da? Zu Herbstbeginn war der Baum bereits tot, abgestorben. Ich fand das schrecklich. Schließlich habe ich herausgefunden, dass die ganze Rinde von einem Käfer unterwandert gewesen ist, was den Saftstrom unterbrochen hat. Ich hatte die Ulme aber gern und ließ den Baum noch ein Jahr stehen, so wie er war als abgestorbenen Baum. Die Blätter sind dann abgefallen und es waren nur mehr die Zweige da. Von denen habe ich mir ein paar ausgesucht und dachte, da könnte ich einen schönen, kunstvollen Stuhl daraus machen. Die Idee war angelehnt an die von Holland aus nahe englische Gartengestaltung, wo man oft aus Schwemmholz Möbel macht. Das kannte ich aus englischen Gartenzeitschriften. Diese Äste der Ulme waren viel feiner und ich habe alles so ausgesucht, dass es wirklich ein sehr schöner Stuhl geworden ist, mit einer Rückenlehne von fast 2 Metern Höhe. Es war natürlich als Kunstwerk gedacht, angeregt von der Wahrnehmung des Vergehens der Goldulme. Es sah fast wie ein fremdartiger Rohrstuhl aus. Was nehme ich nun als Sitzfläche, war die Frage. Ein Stuhl hat doch eine Sitzfläche bitte schön. Ich fand dafür keine rechte Lösung, habe so einiges erwogen. Nach einigen Tagen es traf es mich wie der Blitz: Wozu eine Sitzfläche? Das ist der Thron des Wesens dieses Baumes. Und ein Naturwesen braucht keine Sitzfläche für einen Stuhl. Das Wesen ist einfach da. Eine Wahrnehmung dieser Art kam nicht aus der äußeren Realität, sondern sie entstand aus meiner Empfindung heraus. So kam es zum Thron des Naturwesens, das die Goldulme bewohnt bzw. gepflegt hat. Dieses Objekt habe ich dann natürlich auch fotografiert und gezeigt.

Es heißt ja auch, wenn man einen Baum fällt, lebt sein Schutzwesen noch in dem Strunk, bis auch dieser völlig vermodert ist. Ich habe mich instinktiv damals dagegen entschieden, den Thron des Naturwesens irgendwie auszugießen und so quasi für immer zu erhalten. Er sollte der Erde einmal wieder anheimfallen können.

Man ist also da nicht nur bei den Fragen, was umgibt mich? was sehe ich?, sondern alles muss dann durch die Seele ziehen. Dann entsteht dort auch etwas wie eine Wahrnehmung, meinen Sie. So kommt eine Idee dazu auf, die man auch plötzlich bemerkt. Sie konzentrieren sich sowieso sehr stark auf Eindrücke, die Sie interessieren, die Ihnen sozusagen entgegenkommen. Sie bleiben dann relativ lang dabei.

Gerade im Frühling, wenn Blumen und Sträucher Blüten anzusetzen, da schau ich immer wieder hin. Wenn etwas voll in Blüte steht, das ist so ein unglaublich toller Eindruck. Das zieht mich instinktiv an. Die Wahrnehmung, die durch die Seele des Künstlers geht, bewirkt dann bei mir den Prozess des Kunstwerk-Erstellens, der sich  im passenden Material verwirklicht. Das ist tatsächlich ein vielschichtiger Prozess. Dann entsteht ein Bild oder Foto oder derartiges.

Als Kontrast möchte ich noch fragen, wie Sie zu der Bilderflut stehen, die auf die Menschen einwirkt vor allem durch das Handy und den Computer. Viele schauen in den Öffis die sogenannten Shorts oder Bilder und posten sich eigene Aufnahmen. Da wird oft viel mehr Bildhaftes als Inhaltliches aufgenommen. Ist das genauso gesund, wie es die Beschäftigung mit Kunst sein kann?

Nein, wohl nicht, ich finde das im momentanen Ausmaß sogar gefährlich. Es verdrängt wahrscheinlich das wirklich Spirituelle, das eigene mögliche spirituelle Erleben, das eigene Erleben zum Beispiel im Anschluss an die äußere Wahrnehmung. Erstens ist alles schon fertig da, man muss nichts schaffen. Dann sind es oft Inhalte, die gar nicht so erfreulich sind, wenn man an die Ego – Shooter Spiele denkt. Das wirkt ja nicht positiv auf die Seele ein. Es ist dann doch nicht nur ein Spiel, es ist eine Droge.

Aus dem Naturerleben hat man eigentlich in der Pflanzenwelt grundsätzlich positive Eindrücke. Man kann diesen – in aller Vorsicht – unter Umständen sogar erweitern bis zum Herankommen an Naturwesen in gesunder Form. Aber wir haben jetzt so viel über Naturwesen geredet, ich beschäftige mich in meiner Arbeit nicht vorrangig mit Naturwesen. Für mich geht es um die Verarbeitung meiner fotografischen Naturaufnahmen zu Kunstfotos. Mich hat nur der Pogacnik sehr interessiert und so kam das Gespräch jetzt darauf. Naturwesen sind ja auch nicht immer nur gut, wenn man an das Gedicht „Erlkönig“ denkt. In seinen Armen, das Kind, war tot – nicht wahr. Also für solche Kontakte müsste man sich erst reif gemacht haben. Es hat meine Erfahrung mit dem Thron des Baumwesens allerdings meinen Respekt für Pflanzen enorm gesteigert. Seit dieser Zeit sind sie für mich wirklich Lebewesen. Das kann man ja mitnehmen in die Sommerzeit, in der die Pflanzenwelt sich unseren Sinnen in vollem Umfang darbietet. Sich überhaupt den starken Eindrücken im Sommer bewusst und konzentriert hinzugeben, kann sehr aufbauend wirken.

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