Das Leben, ein Hindernislauf?

Text: Eva Rosann

In den Mysterien der Antike war Merkur der Seelenführer, der den Menschen über die Schwelle in die geistige Welt leitete. In der nachchristlichen Zeit führt Merkur nicht zur Weisheit der übersinnlichen Welt, sondern er führt den Menschen, der ihm folgen will, zum anderen Menschen, damit er im bewussten Anknüpfen neuer Schicksalsfäden Altes lösen lerne, und so heilungbringend Neues durch Liebestaten erstehen lässt.

Des Menschen Organisation ist in allen ihren Gliedern geformt nach dem Schicksal, gewoben aus den Taten früherer Erdenleben. Die Heilung, soll sie vollendet werden, erfordert bewusste neue Taten von Mensch zu Mensch.

So kann Merkur Erkenntnisspender und Impulsator des Handelns sein; er lässt das Menschen-Ich am anderen Menschen-Ich erwachen, damit es so erwacht in heilsamem Tun in die Zukunft hineinwirke.

Dadurch ist Merkur der große Lehrer von Reinkarnation und Karma, damit in ihrem bewussten Durchschauen Menschen und Menschengruppen an dem allen gemeinsamen Ziel arbeiten können. [1]                                                         Ita Wegman

 

Man kann dieses Zitat (wie so viele) unterstreichen, sich daran freuen, so von Herzen einverstanden sein, es weitergeben, bei Gelegenheit vorlesen …, ganz oder teilweise ablehnen, sich darüber ärgern….

Und wenn es dann schließlich von anderen Texten überschattet, vergessen und irgendwo abgelegt worden ist, habe ich nicht bemerkt, wie viele Hinderniswesen in meiner Organisation, die hier nach Ita Wegman in allen ihren Gliedern geformt ist nach dem Schicksal, gewoben aus den Taten früherer Erdenleben gerade wirksam waren.

Wie viele für mich persönlich so einleuchtende, herzerfrischende, im Moment sogar impulsierende Gedanken mussten sich nicht wieder auf ihr totes Buchstabensein zwischen Buchdeckeln zurückziehen!

Während ich das schreibe, denke ich:  Na dann schau doch die Widerstände in dir genauer an!

Sofort antwortet eine innere Stimme: „O je, jetzt wird es anstrengend! Hör auf, du kannst ja nicht immer alles umsetzen, das ist doch reine Illusion!“ – dann: „Du musst diesen Artikel ja nicht schreiben, erspar dir das doch, bringt außer Mühe eh nichts!“ Wer oder was hier wohl gesprochen hat?[2]

Gehen wir dieser Frage ehrlich nach, kommen wir bald darauf, dass Denk-, Fühl- und Handelsgewohnheiten in uns vorhanden sind, die die Grundlage für unsere Reaktionen im

Alltagsleben bilden. Wenn diese nun ihren Ursprung in früheren Erdenleben haben, wo bleibt da meine Freiheit? Und nicht nur das, auch was von außen, von mir scheinbar unbeeinflusst auf mich zukommt, soll von mir selbst verursacht sein?

Rudolf Steiner nennt verschiedene „Bestandstücke des Karmas“:

Biographisches Karma: Ereignisse, Erlebnisse

Affinitätskarma: Neigungen, Abneigungen / Sympathien, Antipathien

Biologisches Karma: Wohlbefinden, Wohlbehagen, Missbehagen[3]

Der Vollständigkeit halber sei noch das Drinnenstehen in bestimmten Menschengruppen, wie Familie usw. erwähnt; auch Natur- und Zivilisationskatastrophen oder Zivilisationsverwirrungen deuten auf die Möglichkeit eines Gruppenkarmas hin.[4]

Aus alldem ergeben sich viele positive Möglichkeiten, aber auch Hemmnisse, Blockaden, an denen wir „anstoßen“ und damit die Gelegenheit zum Aufwachen bekommen.

Fragen, die bewegt werden wollen:

Wie mache ich mich nun konkret auf den Weg ein freierer Mensch zu werden? Wie kann ich bei all diesen Hindernissen – von außen und in mir – bewusst an der „Heilung“, „an dem allen gemeinsamen Ziel arbeiten“?

Solche und ähnliche Fragen führten dazu, mich mit den Lernwegen für Erwachsene,[5] die Coenraad van Houten auf der Basis der 7 Lebensprozesse[6] entwickelt hat, zu beschäftigen.

Dadurch ergaben sich für mich mit der Zeit

Antworten, die gelebt werden wollen:

In den vielen Karmavorträgen, die Rudolf Steiner im Jahre 1924 gehalten hat, finden sich neben den Beschreibungen individueller Schicksale historischer Persönlichkeiten auch allgemeine Gesetze sowie Übungen zum Erforschen des Karmas und ausführliche Beschreibungen, wie geistige Wesen in der Zeit zwischen Tod und neuer Geburt eines Menschen an dessen nächstem Leben arbeiten. Durch den Umgang mit diesen spirituellen Forschungsergebnissen komme ich langsam dazu meine Eigenheiten und das, was mir im Leben begegnet, mehr anzunehmen. Zugegeben, das fällt mir nicht leicht.

Dazu C. v. Houten: „… Selbsterkenntnis ist Karmaerkenntnis. psychologische Deutungen, die nur das gegenwärtige Leben, die Biographie zwischen Geburt und Tod einschließen, reichen dafür nicht aus, jedoch kann Biographiearbeit ein Tor zur karmischen Selbsterkenntnis bilden.

Ein praktischer Übungs- und Lernweg für karmische Selbsterkenntnis, „Vom Schicksal lernen“, ist gefunden worden…“[7]

Für mich bedeutet dieser Weg des „Schicksalslernens“ (ich hoffe einmal einen besseren Namen zu finden, Vorschläge willkommen!) eine Möglichkeit nicht nur mich, sondern auch meine Mitmenschen besser zu verstehen, vielleicht auch immer mehr Dankbarkeit dem Leben gegenüber zu entwickeln, statt mit den Widerständen zu hadern.

Ausgehend von einem unscheinbaren Alltagserlebnis wird bei diesen Übungen versucht, Widerstände, Hindernisse in unserem Denken, Fühlen und Wollen zu erkennen, anzunehmen und im Folgenden beginnend zu verwandeln.

Für alle diese Schritte brauchen wir Mut, da seelische Selbsterkenntnis, wie man weiß, mitunter mit Schmerz verbunden ist. Außerdem verstecken sich die Hinderniswesen, die wir in uns tragen gerne.

Wobei sie bei unseren Mitmenschen meist nahezu aufdringlich wahrzunehmen sind! Da steht deutlich das Bild vor mir: Wenn ich es mit jemandem gerade sehr schwer habe, mich so richtig ärgere über diesen Menschen, schaut einer meiner Schatten augenzwinkernd meinem Gegenüber über die Schulter, nur für mich sichtbar.

Abschließend noch ein Gedanke:

Wenn meine momentanen Blockaden, positiven Talente, hinderliche Ereignisse und fördernde Begebenheiten die Folge meiner früheren Erdenleben sind, so wird sich die Art, wie ich mit ihnen umgehe, auf spätere Inkarnationen auswirken. Werden so meine jetzigen Widerstände nicht zu Chancen, zu Möglichkeiten? Das Leben zu einer großen Schule?

Wir sind nicht gefangen in dem „Haus“,[8] das wir uns gebaut haben!

Im Erkennen und Annehmen unserer karmischen Hindernisse und durch Verarbeitung im Nachtodlichen findet Entwicklung, Heilung statt. Entwicklung hin zu unserem wahren Wesen, in Richtung Urbild alles Menschseins.

[1]Aus Dr. Ita Wegman: Das Mysterium der Erde. Zeitschrift NATURA. 4. Jahrgang 1929/30, S. 4.

Verlag am Goetheanum. Dornach. 1981

[2]     Coenraad van Houten, Erwachsenenbildung als Schicksalspraxis, S 103f

[3]Rudolf Steiner, Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge, Band I, 2. Vortrag

[4]Rudolf Steiner, Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge, Band I, 16., 17. Vortrag

[5]C. v. H., Erwachsenenbildung als Willenserweckung

[6]Rudolf Steiner, Anthroposophie Ein Fragment GA 45, 4.Kapitel

[7]C. v. H.., Erwachsenenbildung als Schicksalspraxis S. 80 ff

[8]Rudolf Steiner, Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge, Band I, 3. Vortrag

Permalink