Der blaue Himmel und die Dämmerungsfarben

Beim Sonnenuntergang und dem blauen Himmel haben wir es jeweils mit drei Qualitäten zu tun: Dem Licht, der Finsternis und der den Raum erfüllenden Trübe, an der die Farben erscheinen.                    Text: Christoph Eisert

Mit diesem Beitrag sind wir in der Abteilung der Physischen Farben angelangt. Die atmosphärischen Farberscheinungen sind sehr zahlreich.1) In diesem Beitrag beschränken wir uns jedoch auf den blauen Himmel und die Dämmerungsfarben. Dieses polare Phänomen beobachten wir immer wieder als besonders schönes und intensiv farbiges Geschenk am Himmel.

An einem wolkenlosen Himmel können wir einen sich über den Himmel kontinuierlich verändernden Blauton bemerken. Von unserem Standort aus entdecken wir im Zenit den dunkelsten Blauton, der sich nach allen Seiten zum Horizont hin aufhellt. Für diesen Standort ist damit die Variation der möglichen Blautöne ausgeschöpft. Möchten wir eine Intensivierung in tieferes Blau erleben, dann müssen wir mehrere hundert Meter höhersteigen.

Die Sonne dagegen erscheint, hoch am Himmel stehend, blendend und farblos. Wenn sie zum Horizont sinkt, geht ihre farblose Helligkeit über in Gelb, Orange, und schließlich nahe dem Horizont in ein feuriges Rot bis Rubinrot. Auch die umgebende Atmosphäre erscheint oft in diesen Farben. Für diese Beobachtung können wir an einem geeigneten Platz verbleiben.

Welches sind die Bedingungen für diese polaren Farberscheinungen? Schauen wir zur Nacht zum wolkenlosen Himmel, dann schauen wir in die Finsternis des Weltraums. Wir schauen jedoch durch eine mehr oder weniger getrübte Atmosphäre, die unter anderem das Funkeln der Sterne bewirkt. Derselbe wolkenlose Himmel erscheint am Tag blau. Jetzt wird die Atmosphäre von der Sonne durchleuchtet. Es erscheint die Farbe Blau mit Hilfe des Lichtes an der Finsternis in ihren verschiedenen Farbtönen von Hellblau am Horizont, zu einem Indigo auf hohen Bergen, ja sogar Violett, wie uns die Astronauten berichten, bevor sie in die Finsternis des Weltraums fliegen. Die trübende Atmosphäre, deren Schicht am dicksten ist, wenn wir zum Horizont schauen, ergibt das Hellblau, am gleichen Standort ist die Luftschicht in Blickrichtung zum Zenit am dünnsten, deshalb ein dunkleres Blau. Mit dem Besteigen von Bergen verringern wir die Luftschicht über uns, deshalb entwickelt sich das Blau zu tieferen Blautönen bis zum Violett.

Beim Sonnenuntergang gelangt das Licht durch zunehmend dickere Schichten der Atmosphäre zu unseren Augen. Die Farbentwicklung von Gelb über Orange bis zum Rubinrot verläuft am Licht durch dessen zunehmende Abdunklung der sich in senkender Blickrichtung vermehrenden und verdichtenden Atmosphäre.

Goethe spricht von der Trübe, die sich beim Hellblau zum Violett verdünnt und beim Gelb zum Rubinrot verdichtet. Bei beiden Farbverläufen spricht er auch von einer Steigerung zum Rot, denn auch Violett hat einen Rotanteil.

Durch Trübe in die Steigerung

Goethe schreibt zum gelbroten Farbverlauf: Das höchstenergische Licht, wie das der Sonne, … ist blendend und farblos. Dieses Licht aber durch ein auch nur wenig trübes Mittel gesehen, erscheint uns gelb. Nimmt die Trübe eines solchen Mittels zu, oder wird seine Tiefe vermehrt, so sehen wir das Licht nach und nach eine gelbrote Farbe annehmen, die sich endlich bis zum Rubinroten steigert. 2)

Für die blauen Farben formuliert er: Wird … durch ein trübes, von einem darauffallenden Lichte erleuchtetes Mittel die Finsternis gesehen, so erscheint uns eine blaue Farbe, welche immer heller und blässer wird, je mehr sich die Trübe des Mittels vermehrt, hingegen immer dunkler und satter sich zeigt, je durchsichtiger das Trübe werden kann, ja bei dem mindesten Grad der reinsten Trübe als das schönste Violett dem Auge fühlbar wird. 3)

Die Steigerung vom Gelb zum Rot führt durch eine immer dichtere Trübe in die Stoffgebundenheit hinein, die Steigerung vom Blau ins Violett immer mehr aus der Trübe, das heißt aus der Stoffgebundenheit heraus.

Beim Sonnenuntergang und dem blauen Himmel haben wir es jeweils mit drei Qualitäten zu tun: Dem Licht, der Finsternis und der den Raum erfüllenden Trübe, an der die Farben erscheinen. Die Trübe ist hierbei die veränderliche Qualität, sie bewirkt eine dynamische Beziehung von Licht und Finsternis.

Im Experiment können wir beide Farbentwicklungen mit Hilfe eines großen Wasserglases mit getrübtem Wasser (etwas Milch oder Seifenlauge beigeben) eingeschränkt nachvollziehen. Sie lassen sich in einem verdunkelten Raum besser beobachten. Schauen wir durch das getrübte Wasser, das von der Seite beleuchtet wird, auf eine schwarze Fläche, so erscheinen je nach Trübegrad tendenziell hellblaue Farbtöne. Die gelbrote Farbentwicklung ist beim Blick durch das getrübte Wasser in eine farblose Lampe recht gut durch eine zunehmende Intensivierung der Trübe bis in ein sattes Rot zu verfolgen. Wir überlassen es dem Leser, dieses durch eine trübe Substanz (gasförmig, flüssig oder fest) vermittelte Farbphänomen an immer wiederkehrenden Beispielen in der Natur oder im Alltag zu beobachten. Es gilt immer:

Durch Trübe

abgedunkelte

Helligkeit

erscheint

Gelb bis Rubinrot

 

Durch Trübe

aufgehellte

Dunkelheit

erscheint

Blau bis Violett

Die polaren und gesteigerten Farbverläufe finden wir in der linken und rechten Seite des Farbenkreises wieder.

1 Johannes Kühl: Höfe, Regenbögen, Dämmerung; Die atmosphärischen Farben und Goethes Farbenlehre; 2 Goethe, Entwurf einer Farbenlehre, S 150; 3 S 151

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