Persönlich erlebte Anthroposophie – Wege zur und mit der Anthroposophie

Die Rubrik „PERSÖNLICH ERLEBTE ANTHROPOSOPHIE” will nicht erklären „das ist Anthroposophie – so ist sie und nicht anders”. Vielmehr soll ein Bild entstehen, wie sich in der anthroposophischen Bewegung stehende Menschen mit der Anthroposphie verbunden haben.

Text: Wolfgang Tomaschitz

Mein Weg in die Anthroposophie

Jetzt – wo sich der Todestag Rudolf Steiners zum hundertsten Mal jährt – kann ich die Frage nach meinem persönlichen Weg nicht beantworten ohne zugleich auch zu erwägen/überlegen/betrachten, wo die Anthroposophie heute steht. Das heißt für mich vor allem zu erwägen, wo wir als Anthroposophen heute stehen.

Was mich überzeugt

Anfang der 80er Jahre – als Schüler in der Bewegung gegen Atomkraft politisch sozialisiert, philosophisch interessiert und nach den Erfahrungen einer Indienreise – war das Erste, das mich für die Anthroposophie eingenommen hat, die Lektüre des so genannten „Landwirtschaftlichen Kurses“.  Bekanntlich ein sehr komplexer und voraussetzungsreicher Vortragszyklus, den Steiner zu Pfingsten 1924 vor 150 Landwirten gehalten hatte und aus dem die biologisch-dynamische Landwirtschaft hervorgegangen ist. Ich habe damals natürlich nicht viel verstanden, aber doch gespürt, dass hier jemand versucht aus einer Methode, die phänomenologische und meditative Forschungen nutzt, etwas zu der schon damals relevanten Frage der Ökologie beizutragen. Ich habe verstanden, dass dieser kulturverantwortliche Gestus, der ja auch in Steiners Beiträgen zur Medizin, zur Pädagogik, zur Heilpädagogik usw. wirksam wurde (wovon ich damals nicht nichts wusste), mehr ist als das, was spirituelle Traditionen üblicherweise bieten.  Gerade in diesem Kontext, der biologisch-dynamischen Höfe und der neu gegründeten Waldorfschule in Klagenfurt waren es aber auch einzelne Menschen, die mich überzeugt haben. Initiative, aufgeklärte Leute, ganz und gar keine Spinner, die etwas auf die Beine stellten und die zugleich große, existenzielle Fragen nicht ausklammerten, sondern in ihre Arbeit integrierten, regten meinen Geist und mein Handeln an.

Was mich noch überzeugt hat, war sehr rasch auch die Person Steiner selbst. Zum einen die Tonalität seiner Vorträge und Texte, dann aber auch sein Umgang mit Menschen, seine vielfach bezeugte Zugewandtheit und sein Respekt vor der Freiheit anderer, insbesondere seiner Schüler. Vor allem hat mich auch sein Wille beeindruckt, aufklärend, Verständnis erzeugend zu wirken. Also der Versuch, aus dem Umkreis der Traditionen, Philosophien und esoterischen Strömungen herauszutreten und ein Feld zu beschreiben, auf dem durch die Forschung vieler so etwas wie eine Geisteswissenschaft entstehen kann, ähnlich dem, was Thomas Metzinger jüngst mit dem Begriff der ‚Bewusstseinskultur‘ eingebracht hat. Steiner war durch seine eigene philosophische und wissenschaftliche Bildung prädestiniert, diesen Versuch zu unternehmen und gerade auch dadurch glaubwürdig. Seine Hoffnungen haben sich bislang nicht erfüllt. Aber auch heute – mehr als 125 Jahre nach ihren Anfängen – sehe ich in der Anthroposophie ein Mittel der Aufklärung in dem häufig noch trüben Bereich der spirituellen Erfahrungen und aller Bewusstseinsphänomene, die damit zusammenhängen.

Etwas später hat mich, gerade auch durch meine berufliche Tätigkeit im Bereich der Politikwissenschaft, Rudolf Steiner als politische Figur überzeugt. Er ist in der Krisenzeit nach dem ersten Weltkrieg öffentlich hervorgetreten und hat eine zivilgesellschaftliche Bewegung lanciert, die so genannte ‚Dreigliederung des sozialen Organismus‘, die gegen die Vereinnahmung von Wissenschaft, Religion und Bildung durch die Politik aufgetreten ist, ein eigenes Demokratiemodell entwickelt hat und sich durch  die strikte Ablehnung von Autoritarismus, Nationalismus und Rassismus ausgezeichnet hat. Das Engagement Steiners war durchwegs kulturoptimistisch und baute darauf, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse durch Kooperation und Integration aller Bevölkerungsschichten zu gestalten seien. Ich habe es immer als vielsagend empfunden, dass die Dreigliederungs-Bewegung von den zur gleichen Zeit sich formierenden Nationalsozialisten, aber auch anderen faschistischen Gruppen auf schärfste bekämpft wurde.

Was mich befähigt

Wolfgang Müller verwendet das schöne Wort der „Weltbeleuchtungsfähigkeit“, um einen zentralen Aspekt der Anthroposophie zu charakterisieren. Wo stehen wir heute 100 Jahre nach Rudolf Steiners To hinsichtlich dieser Fähigkeit und welche Zukunft hat die Anthroposophie? Ich glaube eher nicht mehr daran, dass das Werk Rudolf Steiners noch einmal als Ganzes entdeckt und gewürdigt wird. Die Fähigkeit, Steiners Texte zu lesen und zu verstehen nimmt Jahr für Jahr ab. Was in die Zukunft gehen wird ist das, was wir Anthroposophen aus diesem Werk machen. Dort, wo wir uns durch Rudolf Steiners Werk wirklich befähigt erweisen, stoßen wir auch auf Verständnis.

Über viele Jahre ist es üblich geworden, die Frage nach dem, was die Anthroposophie leisten kann durch den Hinweis auf die Leistung und das Können Steiners zu beantworten. Dieser Verweis verliert auf Grund des zeitlichen Abstandes an Überzeugungskraft. Anders ist das, wenn heute Menschen, die aus Rudolf Steiners Werk inspiriert sind, an jeweils ihrer Stelle – als Kindergärtner, Ärzte, Landwirte, Heilpädagogen – ihren Beitrag leisten, um in den täglichen Aufgaben den nächsten Schritt zu schaffen, eine hilfreiche Idee zu haben oder Grundsätzliches zu thematisieren.

Für mich persönlich war wichtig, kurz nach dem Kennenlernen der Anthroposophie mit der Arbeit und Person Georg Kühlewinds bekannt zu werden, der seit dem Ende der 70-er Jahre intensiv darum bemüht war, die Dimensionen der anthroposophischen Meditation neu zu beschreiben und in Übungsgruppen zu praktizieren. Das hat mich damals in die Lage versetzt, die Anthroposophie auch anders als theoretisch zu erobern. Und es befähigt mich bis heute zu einem Erkenntnisoptimismus, der gegenwärtig sonst nicht leicht aufzubringen wäre. Die Anthroposophie, die übende Anthroposophie befähigt mich, an existenziellen Fragen und großen wissenschaftlichen Themen – Was ist Geist, Bewusstsein, Leben? – dranzubleiben und dabei allmählich mehr zu begreifen.


Anthroposophie, kam ich zu ihr oder sie zu mir?

Text: Norbert Liszt

„Hier bin ich. Du hast mich mächtig angezogen!“ So hat sich die Anthroposophie gefühlsmäßig bei mir vorgestellt.

Ilse, meine Frau, studierte Anfang der 80er Jahre an der Pädagogischen Akademie in Wien und berichtete über die Inhalte der vergangenen Lehrveranstaltung. Thema waren reformpädagogische Unterrichtsformen. Sie erwähnte die Montessori-, Freinet- und Waldorfpädagogik. Alle diese pädagogischen Ansätze waren für mich neu. Es war dann nur die Waldorfpädagogik, die mein Interesse auf eine besondere Art erregte und mich dazu drängte, mehr darüber zu erfahren. Ich suchte und fand eine Buchhandlung, in der ich ein Buch kaufte, das drei Hauptkapitel beinhaltete – Pädagogik, Medizin und Landwirtschaft. Das Vorwort lautete: „Was ist Anthroposophie?“

Es gab keine Antwort auf diese Frage, aber eine Darstellung, wo Anthroposophie überall drinnen steckt und dass sie eine Wissenschaft vom Geist sein will, die dem Menschen einen Erkenntnisweg anbietet, der auch ein Freiheitsweg ist. Das Ich-getragene Denken soll ihn zum freien Menschen machen, der in der Liebe zum Handeln lebt und der leben lässt im Verständnis des fremden Wollens. Die Pflicht, die er sich in dieser Stimmung selbst auferlegt, soll ihn leiten.

In dem erwähnten Buch las ich, wie die Ideale des anthroposophischen Denkens in Pädagogik, Medizin und Landwirtschaft fruchtbar geworden sind und wie sie Menschen zu neuen Initiativen anregt hat.

Zunächst verstand ich nur wenig, aber ich war mir ganz sicher, dass ich etwas gefunden habe, das mein Leben bereichern wird.

Mit diesem Buch im Gepäck reiste ich im Sommer nach Kroatien, damals noch Jugoslawien. Ich saß auf einer Wiese bei den Krka Wasserfällen und las das erwähnte Buch. Ein junger Mann aus Deutschland kam vorbei, sah das Buch in meinen Händen und sagte: „Ah, auch ein Anthroposoph!“ Überrascht antwortete ich, dass ich das nicht sei und auch nicht weiß, was es bedeutet, ein Anthroposoph zu sein. Wir kamen ins Gespräch und er meinte, dass mir eines der Grundwerke Rudolf Steiners einen Zugang zur Anthroposophie eröffnen könnte.

Zurück in Wien, erwarb ich in besagter Buchhandlung das Buch mit dem Titel „Theosophie – Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung“. Dieses Buch eröffnete mir eine neue Welt und ein neues Verständnis vom Menschsein.

Ich war damals erst auf dem Weg, halbwegs verstehen zu können, was mir in diesen Büchern geboten wird. Lange Jahre hindurch lebte ich mit der Überzeugung, dass es nur ein materielles Sein gibt und alles Geistige, von dem die Priester, Theologen und Geisteswissenschaftler sprechen, eine Illusion sei. Doch Fragen nach Sinn und Sinnlosigkeit des Lebens drängten sich auf. Wer oder was will ich eigentlich sein in einer Welt, die nach Nützlichkeitsprinzipien zu funktionieren scheint? Irgendetwas in mir fühlte anders, als mein damaliges Verstehen mir erklärte. Als junger Mann, den die turbulenten Ereignisse der 70er Jahre mit sich rissen, ließ ich mich im Sog der damaligen Strömungen und Moden treiben. Doch nach einiger Zeit machte sich in mir das Gefühl mangelnder Autonomie bemerkbar. Ich musste mein Leben ändern und drängte mich hinein in neue Lebensverhältnisse, raus aus dem Gewohnten, hinein in Ungewohntes. Das war für mich, dem schüchternen Mann, der in einem kleindörflichen Milieu aufgewachsen ist, eine große Herausforderung. Mein Langmut kam mir dabei zugute. Neues zu beginnen, bringt aber auch Unsicherheiten mit sich. Zwischen Hoffnung und Verzweiflung hin und her bewegt, kamen mir Dinge und Menschen entgegen, die mir die nötigen Impulse gaben, mich neu zu fassen.

Bücher eröffneten mir neue Welten und langsam entstand in mir die Bewusstheit, das, was ich bin, kann nicht nur körperlich-biologisch bedingt und von außen bestimmt sein. Ich las Werke von Hermann Hesse, Adalbert Stifter, Goethe …, begann mich für den Buddhismus zu interessieren und besuchte einen Yogakurs in einer Volkshochschule. Neugierig darauf, was die Yoga-Welt alles zu bieten hat, landete ich in einem hinduistischen Yoga-Verein. Dort lernte ich die hinduistische Lebensweise und Götterwelt kennen. Es war zwar eine faszinierende Welt, die sich mir da eröffnete, doch sehr bald bewegte mich die Frage, wie das in unserer Zivilisation gelebt werden kann? Enttäuscht musste ich feststellen: Nirgends im öffentlichen, gesellschaftlichen und praktischen Leben Wiens konnte ich Spuren dieser Lebensweise finden. Die Yoga-Lehrer vermittelten mir eine übermenschliche Lebenswelt, die ich mit dem realen Leben nicht in Verbindung bringen konnte. Jedenfalls bekam ich auf diese Weise eine dumpfe Ahnung von einem in der Welt wirksamen Geistigen und das weckte in mir den Trieb, mehr darüber zu erfahren.

Schließlich fand ich durch die Anthroposophie einen Zugang zu einem Geistig-Lebendigen, das in unserer Kultur wurzelt und auch im praktisch-materiellen Leben seine Wirkung entfalten kann. Heute kann ich sagen, dass mir die Anthroposophie vermittelt hat, dass man dieses lebendige Geistige überall, auch in einem selbst, finden kann, wenn man sein Wahrnehmungsfeld erweitert. Sie wurde mir eine existentielle Begleiterin auf meinem Lebensweg und unentbehrliche Helferin bei meiner Selbstgestaltung.

Das erwähnte Buch:

Rudolf Steiner – Praktizierte Anthroposophie, Beiträge für ein humaneres Leben


Mitarbeiter an der Erdenzukunft durch Arbeit an sich selbst

Was bedeutet mir die Anthroposophie?

Text: Anton Kimpfler, Freiburg im Breisgau

Als gediegenster Einstieg in die Antwort auf diese Frage gilt für mich: Über die Methode der seelischen Selbstbeobachtung kann am sichersten zum Geist-Erleben hingeführt werden. Durch das Denken sind wir in der Lage, uns in reinster Weise wahrzunehmen.

Dadurch geschieht ein Erwachen zur eigenen geistigen Selbstheit. Das allein kann Grundlage sein für wissenschaftlich-geistiges Voranschreiten. Denn dies ermöglicht erst den bewussten Umgang mit sich selbst.  Die Anthroposophie wird somit zum spirituellen Geburtshelfer. Jeder hat dies frei zu vollziehen. Das Ich entdeckt sich selbst und wird zur Basis für unser Weiterentwickeln und das der Welt insgesamt. In immer größerer Sicherheit und Beständigkeit lässt sich das bekräftigen.  Wobei stets klarer wird, dass hier der unmittelbare Zugang zum Göttlichen in der Schöpfung liegt.

Dies gilt auch, obwohl wir an vielen Unzulänglichkeiten in und an uns leiden! Gerade das kann am meisten Bestätigung sein, dass Höheres in jedem von uns aktiviert werden muss. Dies existiert als Möglichkeit, zur Realisierung bedarf es eines langen Zukunftsweges.

Zudem wird ein Ringen mit anderen Menschen nötig. Nur so lässt sich bewältigen, was als Folge unseres Heraustrennens aus angestammten Schöpfungsbezügen an noch Hinderndem in uns und anderswo vorhanden ist. Das gemeinsame Bemühen ist nicht nur unverzichtbar, vielmehr kann es die schönsten schöpferischen Freuden überhaupt mit sich bringen. Allerdings ist die Gefahr da, dass bei auftretenden Problemen, die Konfrontation zu ernst wird. Das mag mit persönlichen Einseitigkeiten zusammenhängen. Dann kann gewissermaßen nur noch der Weltenhumor helfen, wie er in der von Rudolf Steiner und Edith Mayron geschaffenen Holzskulptur vom Christus zwischen dem finsteren Ahriman und einem blendenden Luzifer zusätzlich dargestellt ist. Seelische Gelöstheit wäre zu entwickeln, um mit sich und anderen heilsamer umzugehen, denn dies kann befreiende Impulse ins gesamte Kulturleben bringen. Eine ausgewogene Mitte gilt es aufrechtzuerhalten zwischen irdisch- materiellen und kosmisch – geistigen Angelegenheiten. Zugleich bedarf es eines vernünftigen Ausgleichs zwischen einem Lernen aus vergangenen Erfahrungen und dem Offensein für neue, der Zukunft gemäße Erfordernisse, damit sich eine gesunde Balance auch da ausbilden kann.

Was in einem guten sich Behaupten zwischen den gegensätzlichen Tendenzen von Dunkel-Beschwerlichem und allzu lichter Abgehobenheit entsteht, ist das Weiterführende. Wir befinden uns diesbezüglich fortwährend in einer lebendigen Auseinandersetzung.

Von einem kreativen oder auch spirituell-sozialen Goetheanismus kann hier die Rede sein, im Sinne von Polarität und Steigerung nämlich. Es ist dies in der Farbenlehre Johann Wolfgang von Goethes anschaulich bestätigt: Farbigkeit geht aus einem schöpferischen Begegnen von Licht und Finsternis hervor. Weder die Helle allein kann das bewirken noch gar ein bloßes Dunkel. Erst durch ein dynamischeres Wechselspiel dazwischen diesen Polen entfaltet sich Farbigkeit.

So auch mit allem anderen, was uns selber und auch die Welt insgesamt weiterbringt. Ohne die Gegensätze des Kopfpols und des Stoffwechselgebietes in uns gäbe es keine Herzensdynamik mit dem Blutbewegen sowie dem Vorgang des Atmens. Zwischen dem formend – Kopfmäßigen und dem feurig – Stoffwechselhaften tritt das vermittelnde Rhythmusgeschehen hervor. Es braucht zu seinem Antrieb die Gegensätzlichkeit, gleicht diese doch auch wiederum aus. Ein Zusammenwirken von kosmischer Neubelebung und irdischem Beharrungsvermögen spielt hier herein. Auch mit der Polarität von weiblichen sowie männlichen Wirkungskräften hat dies zu tun. Dadurch vermögen wir uns selber zu regenerieren. So ist auch das äußere Fortpflanzungsvermögen damit verbunden.

Aus dem Aufeinandertreffen, ja sich – Steigern wächst ein Weiterentwickeln hervor. Höhe und Tiefe, Individuelles und Soziales schafft daran mit, auf dass es mit uns aber auch dem gesamten Erdenwesen vorangeht.


Anthroposophie in meinem Leben
Das Gespräch mit Claude-Mario Jansa führte Reinhard Apel.

Claude-Mario Jansa beginnen wir damit, zu fragen, was Sie tun und wer Sie sind.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten pendle ich zwischen Vorarlberg und Wien. In Wien halte ich regelmäßig Gesprächsseminare ab, die mit einem gut einstündigen Referat eingeleitet werden; dies im Rahmen der im Herbst 2000 gegründeten Werkstatt für GeistesWissenschaft. Zwar bin ich Teil der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft, jedoch ein sogenanntes freies Mitglied, das direkt ans Goetheanum angeschlossen ist, nicht über eine bestimmte Gruppe. In Wien geboren war Französisch die Sprache, in der meine Mutter mit mir gesprochen hat, weil sie mit mir nach Paris zum Vater ziehen wollte. Daraus wurde nichts. Der Großvater hingegen, bei dem wir wohnten, hat Deutsch mit mir geredet. Mit fünf Jahren kam ich ins Lycée Français, mit zehn dann ins T heresianum, was erst eine französische und später eine österreichische Allgemeinbildung bedeutete, inklusive alte Sprachen. In Linz habe ich meine spätere Frau kennengelernt, die aus einem Bergdorf am Vorarlberger Rheintal stammte und in Linz Keramik studierte. So hat es mich in einem Alter, wo man sich leicht umorientieren kann, ins westlichste Bundesland gezogen. Das hat mir eine west-mitteleuropäische Perspektive verliehen, mich vor allem aber ins Allemannische versetzt, das ja den Sprung ins Neuhochdeutsche nicht mitgemacht hat. Dieses Idiom enthält viel Klangliches aus dem Mittelhochdeutschen. Wo das Allemannische noch lebt, kann man z.B. Woilfram von Eschenbachs „Parzival“ vom Blatt lesen und verstehen. Das hat mich interessiert. Später bin ich oft in der St. Gallener Stiftsbibliothek gesessen und habe Grundlagenliteratur zur Bodenseeregion studiert. Kultur und Sprache reichen von hier bis ins Elsässische hinüber.

Gut. Dann zum persönlichen Zugang zur Anthroposophie.

Anthroposophie als Werkzeug

Zunächst einmal verwendete ich Anthroposophie als Denkwerkzeug, eigentlich Werkzeugkasten. Bildungsmäßig kam ich von Carl Gustav Jungs Tiefenpsychologie und von der jüdischen Mystik (Kabbala) her. An der Uni Salzburg, wo ich Psychologie studiert habe, war ich auch auf der Theologie, um Hebräisch und Bibelgriechisch kennen zu lernen, denn ich wollte bestimmte Worte im Original verstehen.

Sie haben diese spirituellen Zugänge schon gehabt, noch vor der Anthroposophie?

Ja. Was man in Vorarlberg eben macht, „Hüsle baua“. Das war 1978 bis 1980. Meine Frau wurde schwanger und hat dann ein eigenes Keramikatelier aufgebaut. Da war viel Mithilfe nötig, doch blieb mir zusätzlich viel Zeit; kaum Geld, viel Zeit. Das ermöglichte mir, mein Privatstudium voll anzugehen. Wir waren weit ab vom Schuss: kein Fernseher, ein Wochenmagazin und Abendgespräche. Die nächste brauchbare Bibliothek war weit weg. Die nötigen Bücher mussten also gekauft werden. Schliesslich sah ich mich gedrängt, mein bisheriges Wissen zu fassen und niederzuschreiben. Daraus entstand ein langes, schwieriges Gedicht, eine Art privater Bachelorarbeit: „Das Wegkind“. Darin fragen Elementarwesen den Menschen, wer er eigentlich sei. Die reiche Bilderflut hatte mit meinem Eintauchen in Tiefenpsychologie und Kabbala zu tun, mit meinen bisherigen spirituellen Interessensfeldern also.

Warum gerade C.G.Jung und die Kabbala?

Jung hat versucht seine tiefen Erfahrungen – eigentlich seine Imaginationen – in der wissenschaftlichen Welt zu verankern. Unter anderem hat er sich mit Alchemie und Kabbala beschäftigt und viele Bilder und Zusammenhänge gefunden, die er aus seiner eigenen Schau kannte oder aus den Analysegesprächen mit Patienten. Ein ähnliches Vorgehen finden wir auch bei Rudolf Steiner, indem er überall gesucht hat, wo über das bereits berichtet worden war, was er schaute. Er hat ja erzählt, wie einsam er sich in Bezug auf seine Erlebnisse fühlte. Bei Meister Eckhart, Tauler, Jakob Böhme und anderen hat er Vorstufen zu dem gefunden, was er dann als Anthroposophie in die Welt getragen hat. Das hat zu dem Missverständnis geführt, er habe dort abgeschrieben. Ein Unsinn. Steiner hat nun sehr viele Werkzeuge zur Verfügung gestellt, Denkwerkzeuge, Begriffswerkzeuge. Schon Jung hat mir einige wichtige Begriffe vermittelt, z.B. den Schatten – in der Anthroposophie entsprechend dem Anteile des Doppelgängers. Nach dem „Wegkind“, jenem einstweiligen Schlusspunkt meiner Studien, fühlte ich mich ein paar Monate wie ausgebrannt. Dann bekam ich ein Buch in die Hand von Gerhard Wehr: „C. G. Jung und Rudolf Steiner, eine Synopse“, eine Zusammenschau der beiden bedeutenden Lehrer. Durch die meisterhafte Darstellung des Verfassers, den ich sehr verehr‘, wurde der Querbezug für mich deutlich.

„Wehr, verehr ich sehr“, reimt sich.

Ja, es reimte sich das alles zusammen! Danach habe ich begonnen, mich durch die Rudolf Steiner-Gesamtausgabe zu lesen, was etwa drei, vier Jahre in Anspruch genommen hat. Jetzt stehen wir schon bei 1986/87. Ich habe dann – rückblickend – einige Elemente neu aufgenommen. Vor allem jedoch ergriff ich das herrliche Instrumentarium der Anthroposophie. Wohl kannte ich die grundlegenden Inhalte im Prinzip, aber es fanden sich ganz neue Möglichkeiten, sie zu betrachten, von den unendlichen Einzelheiten ganz zu schweigen. Im Wesentlichen ist mir die Anthroposophie damals als Methode begegnet. Sehen Sie, mit Naturwesen bin ich insbesondere beim Hausbau in Kontakt gekommen, naiv, wenn Sie so wollen. C. G. Jung hat mir geholfen, das zu verstehen. Die bodenständige Arbeit meiner Frau als Keramikerin habe ich unterstützt durch Handarbeiten wie Tonaufbereiten und -kneten. Dabei hat man die Hände oft im Lehm, im Erden- und im Wasserelement. Oder beim Hausbau: welch schreckliche Unfälle hätten passieren können, aber es geschah nichts dergleichen – Zufall mag man denken, doch wenn es in Serie passiert, denke ich an Hilfe aus anderen Bereichen. Immer wieder wurden Naturwesen für mich erlebbar, die das, was wir praktisch umsetzten, wohlwollend begleiteten. Die Kabbala kennt die Naturwesen ja auch. Gerschom Scholem etwa …

Ah, der Gerschom! … Das ist reine Selbstironie, nie gehört.

Ein berühmter Kabbalismusforscher, der erwähnenswert ist. Und dann gibt’s Martin Buber mit seinem Zugang zu den osteuropäischen Chassidim, die ebenfalls die Vierheit der Elemente kannten, etwas orientalisch nuanciert. Scholem erklärt etwa: Byssus, eine weißbühende Pflanze, wächst aus der Erde heraus, also Weiß fürs Erdelement; dem Ozean wird die wertvolle Purpurschnecke entnommen, also Purpur (Kardinalsrot) fürs Wasserelement; der Himmel scheint azurblau, also Blau fürs Luftelement; schliesslich Scharlachrot fürs Feuerelement. Und all das in scharfes bildhaftes Denken getaucht. Überhaupt verdanke ich das klare Denken meiner Beschäftigung mit jüdischen Denkern wie dem in Wien geborenen Buber.

Sie sind also nicht zur Anthroposophie gekommen und haben alles andere in den Kasten gesperrt, weil‘s jetzt nur mehr den Steiner gibt?

Herrschaftswissen und Anwendungswissen

In keiner Weise. Zunächst habe ich Steiner als Ergänzung bzw. Erweiterung begriffen, ich betone: als methodische Ergänzung, weniger als inhaltliche. Bald bin ich freilich auf teils neue, teils anders geartete Inhalte gestoßen, die akkurate Beschreibung der menschlichen Wesensglieder als klassisches Beispiel oder die ausdifferenzierte Karmalehre. Bis heute be16 trachte ich mich vor allem als Anwender, als Geistesarbeiter. Auch in meinen Vorträgen und Seminaren bemühe ich mich, Anwendungshilfen zu geben. Karl Barth unterscheidet zwischen Verfügungswissen, das leider oft als Herrschaftswissen missbraucht wird, und Orientierungswissen. In der Werkstatt für GeistesWissenschaft versuchen wir, Orientierung in der geistigen Vielfalt zu bieten; ein Wissen, mit dem Menschen buchstäblich etwas anfangen können.

Also nicht, um das Bewusstsein von Anderen zu kontrollieren?

Das wäre Herrschaftswissen. Staaten oder Unternehmen halten bestimmtes Wissen geheim, damit sie andere beherrschen können.
Demgegenüber ist das Offenlegen von Wissen, Bereitstellen von Methoden von zentraler Bedeutung für mich. Nur wenn ausdrücklich angefragt, sollten konkrete Hilfen gegeben werden, etwa Anleitungen für geistige Arbeit. Denn jemand, der irgendwo einsteigt in die Geisteswissenschaft (im Sinne eines Wissensbereichs über spirituelle Inhalte und deren Zusammenhänge), sieht sich einer derartigen Flut ausgeliefert, dass es das Bewusstsein geradezu auslöschen kann. Wie nimmt man die Machete in die Hand und schlägt sich einen ersten Pfad da hinein? Das ist ernstzunehmende Arbeit! Natürlich kam es mir zustatten, dass ich bereits beim Hausbau organisiert körperlich gearbeitet, im Tun viele Tätigkeiten gelernt hatte. Das bisschen Werkunterricht im Gymnasium war ja kein Arbeiten. Aus dieser Erfahrung bin ich überzeugt, dass wir die Mittelschüler in eine Lehre schicken, nicht nur ein bisschen basteln lassen sollten. Wie gut, wenn sie wenigstens zwei Tage in der Woche ein Handwerk erlernen würden. Vielleicht hätten wir dann weniger Überflieger samt späteren Bruchlandungen. Jeden falls war ich als Jugendlicher auch überintellektualisiert. Die Begegnung mit meiner Frau hat mir geholfen. Jener allemannische Arbeitsethos, der damals im Vorarlberger Bergdorf vorherrschte, hatte etwas. Man werkelte ständig. Höchstens sonntags saß man kurz „uf‘m Bänkle“. Dann sah man gar bald, was es schon wieder zu tun gab. Im Grunde gehe ich auf diese Weise auch geistig arbeitend vor.

Sie meinen: Man lernt nicht die Inhalte auswendig?

Wichtig scheint mir, mit Ideen umgehen zu lernen. Von dorther lernt man vieles besser verstehen, zum Beispiel auf die Erde bezogen. Was bedeutet es, dass Erdöl in die Biosphäre heraufgepumpt oder Radioaktivität künstlich in sie verstrahlt worden ist? Was bewirkt der Klimawandel? Das versteht man etwas anders, wenn man die Hände drin gehabt hat in der Erde; wenn einem die Erde etwas sagt, weil man seinem Körper den Austausch mit der Erde zugemutet hat. Sie müssen nicht weissgottwo gewesen sein, in der Sahara oder Antarktis. Es genügt durchaus, sich mit der Erde an einem Platz auseinander zu setzen, der Ihnen biographisch und emotional entgegenkommt. Günther Wachsmuth beschreibt, wie die Erde vom Zentrum in die Peripherie wirkt und vom Kosmos eingebettet wird. Das lässt sich bemerken. Wenn ich bei uns am Hang in die Erde hineinarbeite, kommt einiges über die Erdmitte herein, etwa aus Afrika oder Amerika. Über diese 20 bis 80 cm Arbeit in die Erde, gärtnern oder grabend, spielen Impulse heran, die letztlich von überallher kommen. Das lernt man nur, wenn man es macht. Arbeitswille, Hingabe, Wiederholung. Mit der Zeit kommen Stimmungen hoch mit afrikanischem Einschlag, asiatischem, uramerikanischem. Wenn eine Ahnung von Kral-Weisheit dazukommt, von chinesischer, von indianischer, dann erkennt man einiges wieder.

Der Kritiker würde natürlich sagen: Gut, sie haben das vorher aufgenommen, es taucht aus Ihrer Seele auf, hat aber nichts mit dem Globus zu tun. Sie haben das eben gelesen und das kommt ihnen nun beim Arbeiten entgegen.

Dem Kritiker antworte ich mit Isaak Newton, als ihn Edmund Hailey in der Royal Society darauf ansprach, weswegen er sich auch mit Astrologie beschäftige. Newton erwiderte: „I have studied it, you have not“. Wer studiert hat, weiss, wie man methodisch vorgeht. Außenstehende können das mit ihrem spekulierenden Bewusstsein nicht nachvollziehen. Das mag auf einen unbedarften Kritiker arrogant wirken. Auch ein Physiker wird mir sagen: „ Bitte studieren Sie erst einmal die Grundlagen, bevor Sie die Higgs-Theorie hinterfragen.“

Diese Werkstatt für GeistesWissenschaft, von der Sie da seit einem Vierteljahrhundert allmonatlich eingeladen werden, ist sie so gemeint: da wird gedanklich gearbeitet?

Ja, sie wurde gegründet, um immer wieder ins geisteswissenschaftliche Gespräch zu kommen.


Dieser Beitrag ist der zweite Teil des Gespräches mit Claude-Mario Jansa, das unter der Rubrik „persönlich erlebte Anthroposophie“ für die letzte Ausgabe stattgefunden hat.

DIE WERKSTATT FÜR GEISTESWISSENSCHAFT

Noch einmal zu Ihrem Zugang zum Begriff Geisteswissenschaft

Nun, ich betrachte mich mehr als Geistesarbeiter, weniger als Verbreiter, Divulgator anthroposophischer Inhalte. Persönlich stehe ich auf dem Boden der Anthroposophie so, wie ich sie vorgefunden und mir erarbeitet habe. In der gemeinnützigen „Werkstatt für GeistesWissenschaft“, kurz WfGW, möchte ich mit anderen Menschen Herangehensweisen entwickeln, mich gemeinsam mit ihnen in geisteswissenschaftlichem Denken üben. Dabei meine ich Geisteswissenschaft als Überbegriff, von dem Anthroposophie ein konkreter Teil ist; Geisteswissenschaft eben als das Sichbeschäftigen mit spirituellen Inhalten in möglichst klarer Begriffsform. Wie schon im ersten Teil dargestellt, sind die Kabbala oder bestimmte Ideen C. G. Jungs ebenfalls Teile des Wissens vom Geist, das man sich erarbeiten und mit dem man arbeiten kann.

Werken, üben und machen, so gehe ich geistig vor. Wie im ersten Teil des Interviews dargestellt, ist für mich die Arbeit an der Erde im Garten und am Haus eine Grunderfahrung, an die sich viel, sehr viel Spirituelles knüpft. Da komme ich gut ins Erleben dessen, was mir etwa aus der Arbeit am Boden (z. B. Kompostaufsetzen) entgegenkommt. Und das verhindert allzu theoretisches Spekulieren. Dieserart bringe ich eine „geerdete“ Haltung in die Veranstaltungen der WfGW ein. In Teil 1 habe ich übrigens erwähnt, wie ich beim Hausbau – es nahm ja längere Zeit in Anspruch – die Erfahrung machen konnte, dass die Elementarwesen mithelfen, positiv dem Menschen helfen und einiges an möglichen Unfällen verhindern, indem sie einen rechtzeitig warnen. Wenn wir praktisch tätig sind und etwas im irdischen Umfeld gestalten, dann scheint das die elementarische Welt zu interessieren. Die alten Kulturen haben jene immer miteinbezogen, die ursprünglichen in Afrika, Asien oder auch die der amerikanischen Ureinwohner. Wir heutigen sind da quasi blind unterwegs. Es ist ein Anliegen, das mit Geisteswissenschaft im hier gemeinten Sinn und ganz besonders auch mit Anthroposophie zu tun hat, hier wieder eine aktuelle, besonnene, positive Erfahrung zu erlangen; ein Bereich, an den man natürlich vorsichtig herangehen sollte, der jedoch wieder immer wichtiger wird.

Sie meinen mit Geistesarbeit, dass man nicht einfach die Inhalte auswendig lernt, erwirbt …

Nein, man sollte sie bearbeiten, damit umgehen. Man kann es etwa in der Betrachtung der Zeitgeschichte tun. Dann versteht man zum Beispiel besser, wie sich England und Frankreich zueinander verhalten oder die Problematik der Erdölbohrung oder was es bedeutet, dass die künstliche Radioaktivität die Erdenwelt durchzieht. Es liegt ohnehin im Sinn der WfGW, geisteswissenschaftliche Ansätze mit aktuellen Fragen und Nöten zu verbinden.

Die Entstehung der „Werkstatt für GeistesWissenschaft“

In der Werkstatt für Geisteswissenschaft wird gedankliches Arbeiten geübt?

Das ist ihr Daseinsgrund. Die WfGW entstand nicht dadurch, dass ich etwas hingesetzt oder auch nur angeboten hätte. Vielmehr haben sich die Dinge ergeben, das Projekt WfGW folgte aus einem Bedürfnis nach geistigen Zugängen.

Mitte der Neunzigerjahre hat nämlich Stefan Libardi – zuerst in der „Stadtinitiative“, danach in der Volkshochschule Stöbergasse – einen Einführungskurs in die Geisteswissenschaft und die Anthroposophie organisiert. Als Vorarlberger kannte er meine diesbezügliche Tätigkeit im östlichen Bodenseegebiet. Also hat er mich eingeladen, auch weil er meinte, jemand von weit draußen wäre annehmbarer, ein relativ unbeschriebenes Blatt sozusagen. Auf diese Einladung hin habe ich diesen Einführungskurs systematisch durchgeführt. 1999 ging es dann an der Stöbergasse nicht weiter, der Kurs wurde nicht mehr unterstützt. Für mich wäre es das eigentlich gewesen, obwohl der Kurs recht gut besucht war, vorwiegend aus nicht-anthroposophischen Kreisen.

Etwa zehn bis zwölf Damen und Herren aus dem Kurs kamen Ende Juni in diesem Jahr auf mich zu und fragten, ob ich weiter nach Wien kommen würde, wenn sie privat eine Fortsetzung zustande brächten. Ich sagte zu, kannte jedoch in Wien nur die eine oder andere Seele, hingegen keine Säle, also keine in Frage kommenden Veranstaltungsorte. Eine Initiativgruppe aus dem Kreis übernahm daraufhin die Organisation und gab damit den eigentlichen Impuls zu einer Werkstatt, einem Workshop, wie Gebildete zu sagen pflegen.

Namensfindung und der Werkstattbegriff

Zur praktischen Durchführung wurde im September 2000 ein Verein gegründet und der brauchte einen Namen. Schon vor unserem Einführungskurs und weiterhin parallel zu ihm war in der „Stadtinitiative“ im 7. Bezirk eine „Denkwerkstatt“ tätig mit Wolfgang Tomaschitz und anderen. Der Werkstattbegriff gefiel mir besonders gut, was aus dem bisherigen Interview nachvollziehbar ist. So schlug ich „Werkstatt für GeistesWissenschaft“ vor, nenne ich ja das, was ich betreibe, stets ganz allgemein Geisteswissenschaft. Denn wie gesagt, die Anthroposophie stellt für mich einen Teilbereich der Geisteswissenschaft dar, der intensiven und gedankenklaren Beschäftigung mit vorwiegend abendländischen spirituellen Inhalten.

Im kommenden September werden es somit 25 Jahre sein, während der die WfGW kontinuierlich eine Gesprächsplattform für geisteswissenschaftliche Themen und Beleuchtungen geboten hat. Mit Ausnahme von Juli und August fand und findet die Arbeit regelmäßig allmonatlich statt. Im Archivteil der Homepage wfgw.diemorgengab.at ist dies dokumentiert. Darin kann zu jedem Termin ersehen werden, was wir bearbeitet haben sowie welche Materialien wir verwendet haben, obendrein noch, wo dies stattgefunden hat und wie viele Personen jeweils anwesend waren.

Anfangs habe ich mich als eine Art Aufbaureferent erlebt und dachte, man werde vielleicht nach und nach andere Referentinnen zu einem lebendigen Miteinander holen. Daraus ist leider nichts geworden, denn der anfänglichen Gruppe genügte es, mit mir weiterzumachen. Für mehr reichten Impuls und Kräfte nicht – sozusagen eine „Agentur für Geisteswissenschaft“, das war dann doch zu viel Aufwand. Nun ist es eben die „Werkstatt für GeistesWissenschaft“ mit ihrem Referenten geworden.

Ich kenne es so aus dem Gespräch in der Szene: Der Jansa kommt! Der Jansa ist wieder da!  Gehst auch zum Jansa? Deshalb sagte ich zuerst – „ihre Werkstatt, die sie da haben“.

Tja, der Jansa kommt aus dem fernen Westen, hält Werkstatt ab und verschwindet wieder durch irgendwelche Tunnel. So war das von mir nicht intendiert, hat sich vielmehr so ergeben. Jetzt zeigt sich die WfGW eben auf diese Weise. Wohl gab es etliche Engpässe, doch sie fristet bis heute ihr bescheidenes Dasein. Die CoViD-Zeit war so ein Engpass, aber damit mussten ja alle zurechtkommen. Und 25 Jahre, das ist schon erfreulich, da entsteht eine vertrauensvolle Verbindung mit denen, die regelmäßig teilnehmen.

Sie vermitteln also einen – im übertragenen Sinne – handwerklichen Zugang zur Denkarbeit. Denken als ein Arbeitsvorgang. Man muss sich darum bemühen, nimmt nicht nur die Inhalte auf und hat dann etwas.

Es ist eine Arbeit und es ist ein Training. Man bleibt gedanklich in Schuss. So wie man Muskeln trainiert, trainiert man hier das Denken vom Verwenden des Gehirns an. Dazu ist auch passendes Material nötig, möglichst unterschiedliches: Texte, Bilder, meinetwegen Filme, auf die Bezug genommen werden kann. Dann beginnt man, sich damit auseinanderzusetzen, und eben dafür gibt es dann methodische Zugänge.

Ein Beispiel?

Das Arbeiten in der Werkstatt

Nehmen wir irgendeinen Ansatz, der uns interessiert. Dann schauen wir, was es dazu gibt, in einer Bibliothek wie früher oder im Internet sowie in der eigenen Erinnerung. Weil uns das wirklich interessiert (wir nicht bloß neugierig sind), fällt uns nach und nach etwas zu, wir finden dies und jenes und lernen das Zusammenschauen der Dinge. Nehmen wir von den spirituellen Inhalten als Beispiel die Hierarchienlehre, also die Auffassung von den neun Hierarchien der Engelwesen oder, wie es auch genannt wird, von den neun Chören der Engel; vorerst Engel als persönlicher Schutzgeist, dann aber auch Erzengel, Arché und so weiter. Hildegard von Bingen sagt sehr viel über die Hierarchien in Ihrem «Scivias»1. Sie tut das in einem völlig anderen Stil und mit völlig anderen Bezügen als ein Rudolf Steiner, der das Thema in seiner «Geheimwissenschaft»2 und all den themenrelevanten Vorträgen ganz systematisch aufbaut. All das wird schließlich in ein Verhältnis zueinander gesetzt, und solcherart ergibt sich ein Themenschwerpunkt für eine Veranstaltung der WfGW. Vielleicht entdeckt man in der Vorbereitung noch den Dionysius Areopagita (um das Jahr 500) den sogenannten „Pseudo-Dionysius“, weil er sich diesen Namen beilegte und die Identität der Person nicht ganz klar ist. Dionysius schrieb viel früher als Hildegard, spricht auch ganz anders. Sein Stil scheint einer damals noch existierenden Mysterienschule entsprochen zu haben. Da ist gar nicht so viel Beschreibung, eher Hinführung zum Erleben. Und Steiner – wieder viel später als Hildegard – bringt die Hierarchen auf seine markante Art: beschreibend, systematisch, seiner Zeit entsprechend und für uns gerade noch lesbar.

Mir war im Vorfeld die Bedeutung des Handwerklichen, der Denkarbeit für Sie nicht so klar. Ich habe angenommen, Sie seien mehr wissensorientiert unterwegs.

Bedeutung der Wertschätzung

Verständlich, wenn man jemanden Vorträge halten hört. Aber Sie würden merken bei den Veranstaltungen der WfGW: Das Gespräch ist von zentraler Bedeutung. Derzeit haben wir fünf Viertelstunden Vortrag und fast zwei Stunden Gespräch. Früher hatten wir am Freitag zwei Vorträge über dasselbe Thema, erster Teil, zweiter Teil und dann am Samstag fünf Stunden Gespräch. Das ist dann über CoViD eingeschlafen, sodass wir jetzt nur mehr Freitag anbieten. Im Gespräch bringen die Damen und Herren zum Thema oder auch sonst irgendwoher, was ihnen über die Leber gelaufen ist. Für mich ist das Dialogische ein wesentliches Element. Die Menschen müssen sagen können, was sie wollen. Da darf es keine Bremse geben. Manche beginnen mit: „Es ist vielleicht dumm, was ich sage“. Dann bemerke ich: „Die Antwort mag vielleicht dumm ausfallen, die Frage ist niemals dumm“. Ich ermutige. Es kommt zum Teil wirklich Spannendes, zum Teil die wichtige Frage, wie jemand genau zu dieser seiner Gedankenwendung gekommen ist. Meine Aufgabe ist dann, das jeweils Gesagte in den Kontext einzufügen. Entfernt mag das an Hermann Hesses «Glasperlenspiel» erinnern. Die Leute legen quasi irgendwelche mitgebrachten Steinchen hin und ich versuche anzuregen, dass die Steinchen in bestimmte Bereiche gelegt werden, weil dann ihr Bezug zu anderen Steinchen deutlicher wird. Es gibt reine Gedankensteinchen, Bildelemente, mythologische Elemente und selbstverständlich anthroposophische Elemente im engeren Sinn. Dann merkt man, wie zuweilen ein Leuchten in die Augen der Menschen kommt. Denn das, was in ihnen liegt, hat einen Wert. Diese Wertschätzung, die ja nicht auf die äußere Persönlichkeit zielt, sondern darauf, was aus deren Wesen hier und jetzt (hic et nunc) hereinkommt, noch scheu vielleicht, unsicher, diese Wertschätzung ist eigentlich der Grund, auf dem wir aufbauen. Man kann auch sagen: Es ist das Wasser, in dem wir schwimmen. Die Geisteswissenschaft ist dann das Medium, Mittel zum Zweck, um den Menschen auf seine eigene Wesentlichkeit hin anzusprechen. Wo die ruht und wie sie sich äußert, das werden wir vorher nie wissen können. Spannend also! Aber über eine Anregung, zum Beispiel eben über einen Vortrag, kommt derlei in Bewegung.

Ja, in Kontakt kommen. Es gibt den Stefan Kagermeier in Graz, den ich sehr schätze, der ist keiner der viel inhaltlich redet. Er macht aber genau das mit seinen Leuten in den Kursen durch das Plastizieren.

Sehen sie, deshalb sagte ich, ich verwende die Anthroposophie primär als Methodik. Es soll immer wieder ein Eigenwert-Erleben in der WfGW möglich werden, das direkt von der eigenen Würde kommt. So zeigt sich mein gewissermaßen handwerklicher Zugang, um mit dem anderen Menschen gemeinsam zu arbeiten.

Sie wollen also nicht die Anthroposophie hineinsenken in die Seelen?

Das ist nicht meine Aufgabe. Ich anerkenne, dass andere dies als ihre Aufgabe sehen. Aus meinem Erleben bin ich überzeugt, dass der hiesige Mensch, der mitteleuropäische Mensch im engeren Sinn, dringend einen Aufbau seines wesensechten Selbstwertgefühls braucht, das Insichgründen, damit wieder Möglichkeiten gefunden werden, aus den ideologischen Blasen auszubrechen, von den Einseitigkeiten wegzukommen, auch den dahinterliegenden Ängsten zu entkommen. Allerdings bleibe ich dabei streng im hygienischen Bereich. Solange ein Ichwesen selbst innerlich stabil dasteht und an sich arbeiten kann, handelt es sich um einen hygienischen Vorgang. Wenn ein anderes Ich kommen muss, um eine schützende Hülle zu bilden, befinden wir uns im therapeutischen Feld. Dieser ärztliche Ansatz übersteigt meine Kompetenz. Ich kann nur Austauschpartner sein, um eine Selbstertüchtigung zu befördern. Die WfGW bietet allmonatlich einen soliden, über die Jahre gut gepflegten Gesprächsraum dafür.

Herr Jansa, wir danken für das Gespräch

Fußnoten

1 Hildegard von Bingen, Scivias. Wisse die Wege – Eine Schau von Gott und Mensch in Schöpfung und Zeit; Augsburg 1997.

2 Rudolf Steiner, Die Geheimwissenschaft im Umriss, Dornach 1977.

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