Das Goetheanum stellt sich neu auf

Text: Wolfgang Tomaschitz

Die anthroposophische Landesgesellschaft in Österreich, die einzelnen Zweige und Initiativen, aber auch Schulen, heilpädagogische Einrichtungen oder landwirtschaftliche Betriebe sind rechtlich ganz freie für sich bestehende Organisationen.  Diese Unabhängigkeit gilt auch für das Verhältnis der österreichischen Einrichtungen zum Goetheanum (Schweiz, Basel).

Dennoch sind die Vorgänge und Aktivitäten am Goetheanum auch für die Arbeit in Österreich von Bedeutung. Drei Aspekte sind hier wichtig. Das Goetheanum koordiniert und vernetzt weltweit die anthroposophische Arbeit in den Ländern, über den in der Schweiz tätigen Vorstand der ‚Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft‘. Das Goetheanum ist zudem der Sitz der ‚Freien Hochschule für Geisteswissenschaft‘ und der dazugehörigen Sektionen, die inhaltlich die Arbeit in unterschiedlichen Lebensfeldern wie der Medizin, der Pädagogik, den Sozialwissenschaften oder der Landwirtschaft impulsieren. Und das Goetheanum ist ein konkreter Ort, der mit seiner Architektur ein weithin sichtbarer Ausdruck des anthroposophischen Kunstimpulses ist und ein Begegnungsort für Menschen aus aller Welt.

Auf Grund dieser Bedeutung haben viele anthroposophische Einrichtungen auch die Unterstützung des Goetheanums und die Pflege der Verbindung mit den dort tätigen Menschen in ihre Vereinsziele aufgenommen.

Im Frühling dieses Jahres ist es am Goetheanum zu gravierenden personellen Veränderungen gekommen. Zwei sehr lange amtierende Vorstandsmitglieder – Paul Mackay und Bodo von Plato – sind von der Generalversammlung nicht weiter bestätigt worden und eine weitere Persönlichkeit, Seija Zimmermann, schied aus dem Vorstand aus, um im ihrer Heimat Finnland die anthroposophische Medizin stärker unterstützen zu können. Die verbleibenden vier Vorstandsmitglieder – Joan Sleigh, Justus Wittich (Schatzmeister), Constanza Kaliks (zugleich Leiterin der Jugendsektion) und Matthias Girke (zugleich Leiter der Medizinischen Sektion) sind zur Bewältigung ihrer zukünftigen Aufgaben allerdings in das große Kollegium der ‚Goetheanum-Leitung‘ eingebettet, die sie gemeinsam mit den Leiterinnen und Leitern der Fachsektionen bilden.

Diese Sektionen kann man sich wie weltweit vernetzte Hochschul-Institute vorstellen, deren Wirkungsfelder allerdings unterschiedlich groß sind. Es gibt derzeit elf Fachbereiche –  Pädagogik, Mathematik und Astronomie, Medizin, Landwirtschaft, Naturwissenschaften, Bildende Künste, Redende und Musizierende Künste, Schöne Wissenschaften, Sozialwissenschaften, Jugend und die allgemein Anthroposophische Sektion – die zum Teil durch zwei Personen geleitet werden, weil die internationalen Aufgaben, ob es dabei um die anthroposophische Medizin in Brasilien, oder die biologisch-dynamische Landwirtschaft in Indien geht, sehr viel Reisetätigkeit und einen gehörigen Zeitaufwand erfordern. Man kann sagen, dass mit den Leiterinnen und Leitern der Sektionen derzeit eine außerordentliche fachliche Kompetenz am Goetheanum versammelt ist. Die dort maßgeblichen Persönlichkeiten auch in Österreich bekannter zu machen, wird eine Aufgabe der nächsten Monate sein. (Der Schatzmeister Justus Wittich wird voraussichtlich bei unserer Jahrestagung im März 2019 zu Gast sein, Dr. Matthias Girke im Oktober 2019 im Kontext einer Ärztetagung.)

Durch die personellen Veränderungen im Vorstand der Weltgesellschaft hat sich ein Prozess beschleunigt, der in den nächsten drei, vier Jahren ohnehin vollzogen werden sollte: eine stärkere Ausrichtung auf eine kollegiale Leitung der Weltgesellschaft, in die zum Teil auch die Generalsekretäre der einzelnen Länder einbezogen sind. Diese Ausrichtung ist ein Aspekt einer Entwicklung, die von der Michaeli-Konferenz 2016 ihren Ausgang genommen hat und sich nun in einer Reihe von Zukunftsperspektiven konkretisiert.

Die zukünftigen Aufgaben können durch drei Perspektiven charakterisiert werden. Ein erstes wichtiges Vorhaben ist dabei, die Anthroposophie und auch die anthroposophische Gesellschaft zugänglicher zu machen. Nicht nur in Österreich wirken anthroposophische Kreise häufig exklusiv. Sprache und Habitus sind für interessierte Außenstehende oft nicht einladend, sondern stellen eher eine Hürde dar. Eine zeitgemäße Sprache und niederschwellige Veranstaltungs- und Arbeitsformen zu finden, ist also eine erste wichtige Zukunftsaufgabe. Dazu zählt auch die Frage, wie Anthroposophie künftig vermittelt oder gelehrt werden kann. (In Österreich haben wir mit dem ‚Grundstudium Anthroposophie‘ dazu einen kleinen, bescheidenen Schritt unternommen.)

Ein zweites wichtiges Vorhaben ist die Intensivierung der Hochschularbeit in dem Sinn, dass die vielfältigen Erfahrungen der beruflichen Praxis, in der Heilpädagogik, in der Landwirtschaft, in den Schulen usw. fruchtbar gemacht und im Sinne einer Praxisforschung einbezogen werden sollen. Damit wird – im Idealfall – jede Kindergärtnerin, jeder Schularzt, jeder Bauer ein Mitforschender in seinem Aufgabenfeld und damit Teil eines kollektiven Lernprozesses. Im zentral-anthroposophischen Bereich ist in diesem Zusammenhang die ‚Goetheanum-Initiative Meditation weltweit zu nennen, die sich zum Ziel gesetzt hat, die zahlreichen und sehr elaborierten Ansätze der Anthroposophischen Meditation auch öffentlich sichtbar zu machen und alle Akteure auf diesem Gebiet in einer gemeinsamen Initiative zu sammeln.

Ein drittes wichtiges Vorhaben ist der Versuch seitens des Goetheanum, mit den tausenden Unternehmen und Institutionen, die aus der Anthroposophie inspiriert sind, in eine systematische Kooperation zu kommen. Das ‚World Goetheanum Forum‘, das unter dem Titel ‚Wirtschaftliche, soziale, spirituelle Verantwortung leben‘ vom 28. bis 30 September 2018 am Goetheanum stattfindet, ist nach langen Vorbereitungen ein erster Auftakt dazu. Eine ‚World Goetheanum Association‘, die daraus entstehen soll, existiert in kleinerem Format übriges schon in anderen Ländern, z.B. in Dänemark, wo es bereits einen Zusammenschluss von Anthroposophischen Betrieben – von kleinen Bäckereien bis zu großen Landwirtschaften – gibt.

Die gesteckten Ziele sind ambitioniert, sie sind im Sinne einer zeitgemäßen Anthroposophie aber auch in jeder Hinsicht sinnvoll. Das Goetheanum ist dafür gut aufgestellt. Ich kann nur hoffen, dass sich in Österreich viele anthroposophische Freunde entschließen, zu diesen Zielen ihren Beitrag zu leisten.

Wolfgang Tomaschitz

(Generalsekretär der Anthroposophischen Landesgesellschaft Österreich)

Goetheanum Terrasse (2)

Neu renovierte Terrasse des Goetheanum während einer Sommertagung

(Foto: privat)

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