Kunst-Therapie bei Angststörungen

Text: Helga Bläuel, Kunsttherapeutin, Wien

Wollen wir unser Leben erhalten, indem wir Lebendigkeit opfern und verhindern? Mehr denn je ist heute alles abgesichert. Wir sind angeschnallt, ferngehalten, getestet und zur Sicherheit registriert. Dennoch haben wir mehr Angst denn je: Angst vor dem Ungewissen, vor Veränderung, vor dem Missgeschick, vor Verlust und Tod. Die kleinen Ängste (habe ich meinen Schlüssel verloren?) sind uns eher bewusst. Wir verdrängen die großen Ängste, die Zerstörung unserer Erde; das unermessliche Waffenpotential …
Doch darunter liegen die noch größeren Ängste: Gibt es einen Sinn des Daseins? Gibt es ein Ziel? Ist alles, was ist, denn Zufall? Und was ist Zufall? Wer oder was sind wir Menschen? Und wofür?

In der therapeutischen Begegnung werfen wir vielleicht zunächst einen Blick auf die Biografie: das aus der Vergangenheit Prägende als Ursache der Ängste. Aber dann lohnt es sich, auch auf das zu blicken, was werden will: das aus der Zukunft Wirkende. Habe ich Visionen? Was ist meine Lebensaufgabe? Was will ich beitragen zum Weltganzen?

Der Vielfältigkeit der Angsterscheinungen entsprechend beginnt eine Begleitung möglicherweise mit stabilisierenden, Vertrauen schaffenden Erfahrungen der Geborgenheit und Wärme.

In der Kunsttherapie können im plastischen Gestalten die leibgebundenen Sinne angeregt und genährt werden. Gut geführtes Malen kann warmes Interesse wecken, Ruhe und lösende Vertiefung schaffen; durch Verwendung von Pflanzenfarben und ihren besonderen sinnlichen Qualitäten kann zum Staunen und Eintauchen in etwas Anderes eingeladen werden. Das Andere, das ist jenes Gebiet, wo ein Geschenk auf uns wartet.

Der künstlerische Schaffensprozess bringt ein Stück weit dahin, wo heraus die kleinen Kinder schaffen: das ist der Bereich, wo es keine Furcht gibt, wo nichts von Urteilen gewusst wird, wo, im besten Sinn des Wortes, gespielt wird.

Im prozesshaften, künstlerischen Schaffen geht unsere Aufmerksamkeit von den Vorstellungen weg, ins Tun. Wir gehen ins Bewegen, wir wagen, wir probieren, wir verwerfen, wir entdecken, wir staunen. Indem wir lernen, auch die Fehler zu bejahen, wächst der Mut. Hinfallen, Aufstehen. Eine gute Entwicklung ist oft durch eine Krise gegangen. So reifen wir auf unserem Lebensweg.

Exemplarisch sei ein Verwandlungsprozess, wie er durch die Kunsttherapie erfahren werden kann, anhand eines Weges aufgezeigt, den die Teilnehmerin der anthroposophischen Kunsttherapie-Ausbildung aktha*, Katharina Wagner, sehr anschaulich beschreibt:

Ich möchte ein einfaches Rezept vorstellen, das sich aus einer Hausaufgabe zu den 7 Lebensprozessen (hier: den 7 Stadien der Bildentstehung) entwickelt hat und das auch im Umgang mit Angst sehr hilfreich ist.

Alles was benötigt wird, ist 1 Blatt Papier, Wachskreiden und die Bereitschaft, den eigenen Gedanken und Gefühlen zu begegnen.

Hier ist eine Dokumentation des Prozesses in 7 Schritten von Katharina Wagner anhand von daraus ausgewählten 4 Bildern.

1) Gedanken und Gefühle auf dem Papier sammeln und zum Ausdruck bringen. Frei von Urteilen weitermachen, bis das Blatt voll und ich leer bin. 2) Ohne zu bewerten durch Farben in die Formen eingreifen. Spüren wie das Bild beginnt in Schwingung zu kommen.

3) In die Bewegung kommen und ohne Zensur das Blatt zerstören. Ungehemmtes darüber Zeichnen bringt viel Energie in meinen Körper. 4) Abstand nehmen und die Ausgangssituation reflektieren. Ich frage mich, was ich erhalten möchte und highlighte es auf dem Blatt.

5) Der Fokus ist nun auf die Hervorbringung des Erwünschten gerichtet. Mit Entschlossenheit setze ich die Idee um. 6) Mit Geduld werden die Formen herausgearbeitet. Ich achte auf neu entstehende Impulse und lasse sie einfließen.

7) Ein Gefühl der Zufriedenheit und Freude kennzeichnet den Abschluss. Ich erhalte das Bild als sichtbares Zeichen meiner Verwandlung.

Im folgenden Prozess wurden dieselben 7 Schritte angewendet.

In diesem Fall ist die Ausgangssituation meine Gefühlslage am 12. Tag meiner Corona-Erkrankung, in Quarantäne.

Es entfaltet sich auf dem Blatt Papier ein für mich abenteuerlicher Verwandlungsprozess, der mein Alltagsbewusstsein sprengt und mir einen Perspektivenwechsel in eine mythische Welt schenkt. Vom Gefühl der Angst und Begrenzung gelange ich zu dem des Staunens und Vertrauens.

Hier ist eine Dokumentation anhand von 4 Bildern.

(Fotos von Stadien desselben Bildes während dessen Entstehung.) Katharina Wagner, Studierende aktha*, Wien

Angst ist das Gegenteil von Vertrauen und Hingabe. Wenn ich male, Ton forme oder Töne hervorbringe, setze ich etwas von mir in die Welt, was sonst nie da gewesen wäre. Etwas Einzigartiges, das niemand genau so könnte, wie ich es kann, entsteht. Eine Schöpfung aus dem Nichts. Es ist eine Resonanz. Eine Bestätigung: ich bin. Ich bin in der Welt, die Welt ist in mir. Die Welt wirkt auf mich ein: auf meine Gedanken, Vorstellungen, Gefühle, Empfindungen…Ich wirke auf die Welt ein, mit allem was ich tue oder nicht tue. Die Welt und ich sind einander Spiegel.

Worum es geht, was die lebenslange Lernaufgabe ist, ist der atmende, ausgleichende Wechsel beider Gesten. Weder lasse ich mich überwältigen und erstarre in Vorstellungen und Willenlosigkeit, noch schieße ich ohne Distanz und Wahrnehmung hinaus in blinder Aktion.

Im künstlerischen Prozess kann ich eben dieses Wechselspiel finden, üben, einrichten und mir zu eigen machen. Ich tue etwas – ich reflektiere, ich nehme meine Gefühle wahr. Ich male eine Farbe, trete zurück und sehe die Wirkung auf das Ganze. Da ist eine Empfindung, die mich dazu führen kann, einem weiteren Impuls zu folgen…

Eigentlich ist die ganze Therapie, auch die Kunsttherapie, dazu da, dem Ich zu ermöglichen, wieder hereinzukommen, dem Ich wieder Raum zu geben, damit es wirken kann. (H.Volbehr**)

*Der nächste Ausbildungsbeginn ist September 2022. Siehe: www.aktha.at

**Hinweis zur Vertiefung zum Thema Angst siehe Vortrag von Dr. Hartwig Volbehr, Dornach im Jänner 2019:

https://www.icaat-medsektion.net/fileadmin/user_upload/pdf/21_Kunsttherapietagung_Vortragsnachschrift_Hartwig_Volbehr_2019.pdf

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