Interview mit Hans Peter Riegel in der Zeitschrift Die Presse

„Man muss Beuys den Heiligenschein nehmen“ Presse vom 2.05.2021 um 06:47 von Almuth Spiegler

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Er umgab sich mit Altnazis und wollte mit seiner Kunst die Anthroposophie verbreiten: Die „Heuchelei“ rund um Beuys‘ „verdeckte Mission“ ärgert den kontrovers diskutierten Beuys-Biografen Hans Peter Riegel.

Die Presse: In der Wiener Ausstellung im Belvedere 21 wird im Eingangstext explizit Beuys‘ Schwiegervater genannt, Hermann Wurmbach. Der Kurator will so den Einfluss des Zoologen auf das Werk betonen. Wer Ihre Recherchen gelesen hat, muss bei diesem Namen allerdings an völlig anderes denken.

Hans Peter Riegel: Wurmbach ist ja berühmt für seine Zoologiebücher. Aber er war auch Rassentheoretiker, Eugeniker und NS-Funktionär, stellvertretender Gaudozentenführer, ein SA-Mann, also ein Nazi allerbester Güte. Diese Vita war vor meinen Recherchen unbekannt. Jedenfalls war Wurmbach sicher eine starke Inspirationsquelle für Beuys. Auch dass Beuys auf die Idee kam, ständig zu behaupten, er hätte ein naturwissenschaftliches Studium absolviert, kann hier verortet werden. Dabei hatte er allenfalls als Gasthörer zwei, drei Vorlesungen auf der NS-Reichsuniversität Posen absolviert, die in der NS-Zeit ein rassistischer Thinktank war. Es ist sehr typisch für die Beuys-Rezeption, dass da niemand nachgeforscht hat.In sein künstlerisches Werk aber scheint das nicht eingeflossen zu sein, oder?

Alles halb so wild, sagen die Beuys-Apologeten. Aber Beuys hat sich mit Rechten und Altnazis umgeben. Vor allem war er Anthroposoph. Das ist eine esoterische, rassistisch grundierte, dem Deutschtum verschriebene Weltanschauung, in der Beuys total verfangen war.

Und wie spiegelt sich das im Werk wider?

Aus kunstwissenschaftlicher Perspektive ist nachgewiesen, dass das gesamte Werk von Beuys auf Allegorien zu anthroposophischen Themen wurzelt.

Viele waren gerade in der Moderne von Rudolf Steiners Weltsicht fasziniert, es gab Ausstellungen darüber. Was ist gerade bei Beuys so schlimm daran?

Sie legen den Finger in die Wunde: Es gibt ein grundsätzliches Verständnisproblem. Was Beuys in seinen Vorträgen verkündet hat, klingt zunächst links und egalitär. Aber es sind anthroposophische Phrasen, esoterische Hirngespinste, die gleichzeitig als völkisch verstanden werden müssen. Sein Werk kann wie eine Ansammlung von Antennen gesehen werden, die er im Bewusstsein der Menschen einpflanzen wollte, um seine Botschaft der Anthroposophie zu verbreiten. Seine Kunst ist auf diese Wirkung ausgerichtet. Sie soll bei Menschen eine Reaktion auslösen, nämlich die anthroposophischen Verheißungen zu erkennen.

Das hat ja offensichtlich nicht funktioniert. Man denkt bei Beuys nicht als Erstes an Steiner, obwohl viele Ausstellungen – auch in Wien – sehr wohl darauf Bezug nehmen.

Wenn Bezug auf die Anthroposophie genommen wird, dann nur als weichgespülte Utopie mit Waldorfschulen, Eurythmie, Demeter und Weleda. Tatsächlich ist das Verhalten der Anthroposophen sektiererisch und die Struktur ihrer Weltanschauung ist totalitär. Wenn du nicht den Schulungsweg gegangen bist, wenn du nicht „eingeweiht“ bist, kannst du nicht verstehen, was Anthroposophie ist, sagen sie. Die diskutieren deshalb auch nicht mit uns. Wir normale Menschen stehen für sie auf der untersten Stufe der kosmischen Hierarchie. Darüber anthroposophisch Eingeweihte, dann folgen Engel und Höhere Wesen in diversen Abstufungen.

Weder in Deutschland noch in Österreich ist Anthroposophie verboten oder gilt als Sekte.

Anthroposophen haben sehr viel Einfluss, das geht bis in höchste Kreise. Beuys hat stark davon profitiert. Nicht von ungefähr fand sein künstlerischer Durchbruch im Kupferstichkabinett in Basel statt. Dornach, der Hauptsitz der Anthroposophie, ist ein Vorort von Basel. Und in Basel gibt es reiche Kunstförderer, die der Anthroposophie nahestehen.

Ist der Einfluss bei den heutigen Beuys-Verwaltern auch so stark?

Der Kreis um die Erben, die Stakeholder sind keine Anthroposophen, denke ich. Der zweite Kreis, die „Beuys Jünger“, ist jedoch durchsetzt von fanatischen Anthroposophen. Diese anthroposophischen Verbindungen und Beuys‘ rechte Koalition waren auch der Grund, warum er bei den Grünen rausgeflogen ist.

Können Sie das belegen?

Alles, was ich schreibe und sage, ist mit Quellen belegt und dokumentiert. Sonst hätte ich wohl juristische Probleme.

Manche sagen, Sie wären davon besessen, Beuys in ein schlechtes Licht zu rücken.

Wie gerade erst Eugen Blume, der Kurator der größten Beuys-Ausstellung, der mir denunziatorische Absichten unterstellt. Warum macht jemand wie er in einer solchen Position so etwas? Das ist doch nur noch hilflos, ja lächerlich, weil Leute wie ihm die Argumente gegen meine Arbeit ausgehen. Ich betone meine Wertschätzung für Beuys, hebe immer wieder seine Bedeutung für die Kunst hervor. Aber es ist doch wichtig aufzuzeigen, wenn jemand eine „hidden agenda“ hat. Ich vertrage einfach die Heucheleien um Beuys nicht, weil ich ihn anders erlebt habe als viele, die ihn idealisieren wollen. Man muss diesen Heiligenschein um Beuys wegbekommen.

Sie waren Assistent von Jörg Immendorff, der Maoist und Beuys-Schüler war. Haben Sie Beuys selbst gekannt?

Ja, ich habe ihn 1973 durch meinen Kunstlehrer, den Bruder von Sigmar Polke, kennengelernt und bin ihm oft begegnet, habe ihn in Aktion erlebt, in der Kunst wie im politischen Feld. Als ich wenig später mit Immendorff zusammenkam, war Beuys natürlich schnell ein Thema. Nach der Immendorff-Biografie kam also die von Beuys, über den ich schon einhergehend studiert hatte. Der Aha-Effekt dabei passierte in Berlin, als man mir im Bundesarchiv die dicke NS-Akte seines Privatsekretärs Karl Fastabend auf den Tisch gelegt hatte. Dass Beuys nicht gerade ein Linker war, war mir bewusst. Aber dass er seine politischen Pamphlete von einem ehemaligen SA- und SS-Mann schrieben liess, empfand ich wie einen Schock. Anschließend habe ich meine Recherchen intensiviert.

Warum finden diese Informationen in den Museen nicht mehr Niederschlag?

In der Kunstwissenschaft ist meine Biografie längst State of the Art. Das Kernproblem bei den Museen ist, dass dort große, teure Werke von Beuys lagern, die auch immensen Erhaltungsaufwand haben. Steuergelder für einen, der wie die Querdenker heute den demokratischen Staat verachtete, der ihn lächerlich machte? Für Werke, die eigentlich esoterische Heilsbotschaften sind? Die Stakeholder könnten Angst haben, dass das Oeuvre vor solchem Hintergrund in Frage steht und monetär entwertet wird. Der öffentliche Druck könnte da schon wachsen. Aber wer will sich schon mit einflussreichen Beuys-Galeristen wie Thaddaeus Ropac anlegen?

Jeder Mensch ist ein Künstler, die „soziale Plastik“ – das war doch revolutionär.

Das ist aber ein krass fehlinterpretierter Satz. Er hat gar nichts mit Kunst zu tun. Die Putzfrau etwa ist als Putzfrau eine Künstlerin bei der Formung der „sozialen Plastik“. Und diese ist exakt das Gleiche wie der „soziale Organismus“ von Steiner. Die Idee hat Beuys bei Steiner geklaut. Da geht es um die Formung der Gesellschaft nach anthroposophischen Mustern, daran ist nichts revolutionär. In zehn, 15 Jahren ist Beuys nicht mehr relevant. Jüngere finden ihn nur noch gestrig und seine Werke abstoßend. Ich habe ein Festival für Digitalkunst in Zürich gegründet, befasse mich täglich mit einer neuen Künstlerszene. Bei denen unter 30 wissen nur noch wenige, wer Beuys ist. Beuys heute mit dieser Jugend in Verbindung zu bringen – etwa mit Greta Thunberg, wie gerade in der Düsseldorfer Ausstellung – ist kolossaler Unfug.

Lassen Sie ihn künstlerisch gar nicht gelten?

Sein Werk ist hochinteressant. Allerdings sehe ich Beuys heute mehr als historische Figur. Er steht prototypisch für die Verdrängungsmechanismen der NS-Generation, deren nicht bewältigte physische und psychische Verletzungen. Beuys war begeistert von Hitler, meldete sich freiwillig zum Militär, wollte für Hitler töten und stand nach dem Krieg vor dem Nichts. Dann kamen die Anthroposophen und nahmen ihn in ihre Reihen auf. Beuys hatte sicher gute Absichten und war natürlich kein böser Mensch. Er war ein Fantast, der sich in einer reaktionären, esoterischen Welt verirrt hatte.

 

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