Leserbrief zu „Man muss Beuys den Heiligenschein nehmen“- PRESSE 12. Mai 2021

In dem Interview mit Hans Peter Riegel wird im Zusammenhang mit Rudolf Steiner unterstellt, dass die Anthroposophie und insbesondere die Dreigliederungsbewegung, die ab 1917 aktiv war, eine Nähe zur völkischen Ideologie hätte. Das ist mittlerweile eine Standarderzählung, aber nichtsdestotrotz völlig falsch! Steiner tritt ja, historisch leicht nachprüfbar, mit Denkschriften an Kaiser Karl und die politische Führung in Deutschland, mit Publikationen und hunderten Vorträgen an die Öffentlichkeit. Eine Analyse dieser Ereignisse und Dokumente macht sofort klar, dass die zivilgesellschaftliche Bewegung der Dreigliederung einen Weg der Mitte zwischen den links-revolutionären Gruppierungen einerseits und dem völkischen Lager anderseits einschlägt. Es ist sehr leicht zu zeigen, dass Steiner den Nationalismus für einen gefährlichen Irrweg hält, dass Gewalt als politisches Mittel geächtet wird und dass das Hoffen auf charismatische politische Führer in seinen Konzepten keine Rolle spielt, sondern im Gegenteil eine differenzierte Demokratietheorie und – im Hinblick auf die damalige Situation in Österreich – ein Modell einer weitgehenden kulturellen Autonomie der Volksgruppen vertreten wurde. Es ist außerdem gut belegt, dass die Anthroposophen wiederholt von nationalsozialistischer Seite als ‚internationalistisch, unpatriotisch und judenfreundlich‘ angegriffen wurden.

Wolfgang Tomaschitz

Generalsekretär Anthroposophische Gesellschaft in Österreich

(Anmerkung für die Redaktion: Einen guten Überblick samt Dokumenten liefert Peter Selg in „Rudolf Steiner, die Anthroposophie und der Rassismus-Vorwurf. Gesellschaft und Medien im totalitären Zeitalter“ (2020))

Interview mit Hans Peter Riegel in der Rubrik „Diverse Beiträge“ zu finden.

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