Soziale Kunst

Wie man eine Waldorfschule aus ägyptischen Gegebenheiten hervorzaubert. Gespräch mit Nathalie Kux, Mitinitiatorin der Schulgründung Hebet el-Nil in Luxor, Ägypten

Das Gespräch führte Reinhard Apel

Anmerkung der Redaktion: Die Waldorfpädagogik ist eine Erziehungskunst. Das wird deutlich, an den ständig wiederkehrenden Verweisen auf künstlerisch – kreative Elemente.

Ich habe in einem Gespräch zwischen Tür und Angel gehört, dass es in einem Kaffee am Nil zur Gründung der Hebet el-Nil Schule gekommen ist.

Ich habe vor fünfeinhalb Jahren eine Kulturreise durch Ägypten gemacht und dort in der Folge einen Bauern kennengelernt, der Land hatte und gemeinsam mit einigen Lehrpersonen das ägyptische Unterrichtswesen verändern wollte, das ja in der Bewertungsskala im Vergleich mit der ganzen Welt wahrscheinlich das Tiefste bildet.

Das Tiefste heißt am wenigsten entwickelt?

Ja, das Schulniveau ist das Tiefste. Vielleicht das vorletzte Tiefste, aber es gehört zu den tiefsten der ganzen Welt. Da sollte man im Erziehungswesen wirklich etwas ändern, weil es seit 100 Jahren immer nur dasselbe ist. Es sitzen 70 Kinder in der Klasse, die stundenlang die Sachen auswendig vor sich her brüllen und vorne steht der Lehrer mit dem Stock und schlägt halt immer wieder mal die Kinder. Die Kinder haben dann nachmittags zuhause für sehr viel Geld Nachhilfe ( Privatunterricht)  und kommen am nächsten Tag in die Schule. Jedes Kind weiß daher etwas Anderes. Der Lehrer kann gar nicht unterrichten, er ist auch gar nicht motiviert zu unterrichten. Er geht hinaus Tee trinken und telefonieren und hebt sich seine Energie für den Nachmittag auf, wo er seinen Privatunterricht gibt.

Er ist vielleicht nicht gut bezahlt, er verdient wohl im Privatunterricht besser?

Das sind alles arme Menschen, die sammeln ihr ganzes Geld für Privatstunden!

Weil die Schule nichts Rechtes bewirkt?

Ja, weil die Schule da nichts weiter bringt, aber es ist für alle eine vertrackte Situation. Und dann gab es sehr interessante Gespräche mit diesen Lehrern und Lehrerinnen.

Im Rahmen Deiner Kulturreise?

Kurz danach bin ich nochmals gefahren, weil mich das Land so gepackt hatte. Der Bruder des Freundes jenes Bauern, ein Schuldirektor, hat mich dann eine Woche lang durch Schulen geführt. Da hatte ich schon den Roland Steinemann dabei, der ein Waldorflehrer aus der Schweiz ist, und mich bei den Schulbesuchen begleitete. Wir schauten uns die Schulen an und kamen mit den Lehrern ins Gespräch.

Schulen, wo schon diese Lehrerinnen waren, die späteren „Säulen“?

Nein, diese Lehrerinnen waren da noch nicht, sondern es war dieser eine Freund, der das Anliegen auch für seine Kinder hatte und etwas unternehmen wollte. Die „Säulen“ sind mit anderen Personen dann im Lauf der Zeit dazu gekommen. Zuletzt waren es dann zehn Menschen, aber manche waren zunächst nur neugierig, weil wir aus Europa kamen.  Von dieser Gruppe blieben letzlich drei ernsthaft dabei. Sie bilden nun diese Säulen der Schule. Wir haben gleich mit ihnen sehr viel künstlerisch gearbeitet. Sie waren dann irgendwann auch in Sekem sich alles anschauen. In Sekem gibts ja keine Waldorfschule, sondern eine staatliche Schule.

Vollständige Waldorfschule oder Hybrid?

Ich wollte immer schon wissen, ob Sekem eine Waldorfschule hat.

Es hat eine Schule für Kinder von Menschen, die dort in den Wirtschaftsbetrieben arbeiten. Das ist eine staatliche Schule mit Government Curriculum. Sie verwenden aber viele  Waldorfelemente, vor allem recht viel Künstlerisches. Sie haben dort den Leherinnen aus Luxor gesagt, dass es nur in der Art funktionieren wird, also in staatlichem Rahmen. Doch die Lehrerinnen wollten anders herangehen Sie haben eben gesehen, was man künstlerisch alles versuchen kann, dass man malen kann, Flöte spielen, dass es Eurythmie gibt. Da bin ich dann im Winter vor fünf Jahren zu ihnen gefahren und habe mit ihnen geübt. Und es hat sich eben dann der Kern herausgebildet von diesen Lehrerinnen, jetzt der Stamm unserer Schule. Das sind Lehrerinnen, die zunächst auch Privatunterricht abends gaben. Es hat ihnen Roland Steinemann über das Curriculum der Waldorfschule erzählt. Sie haben dann versucht Vieles gleich in ihren Privatstunden ungesetzt.

Die sie eben auch nachmittags und abends geben?

Ja, und zwar in verschiedensten Alterstufen. Als wir dann im April wieder kamen, hatte ich zuerst geglaubt, man müssew wieder bei Adam und Eva beginnen. Aber es war nicht so! Sie haben Vieles gleich umgesetzt und viele Fragen mitgebracht, sehr konkrete Fragen.

Ein lockerer Eigentumsbegriff

Dann gab es Schwierigkeiten mit dem Grundstück. Man kann in Ägypten nur eine Schule gründen, wenn man Land hat, auf dem man ein Schulgebäude bauen kann. Deswegen hatte ich mich darauf eingelassen, diesen Menschen zu helfen, da dieser Bauer ja Land hatte. Es hat sich schließlich herausgestellt, dass ihm dieses Land gar nicht gehört, sondern ein gepachtetes Land ist. Aber das hat er nicht verstanden, dass es gepachtet ist, weil seine Familie seit Generationen darauf lebt. Er war überzeugt, ihm gehört das Land, aber so war es nicht. Solche Geschichten gibt es dort noch viele. Deshalb habe ich mich dann zurückgezogen. Und hier wäre eigentlich der Schlusspunkt gewesen. In der Zwischenzeit aber waren die Lehrerinnen so begeistert und entflammt, dass sie nicht aufgeben sondern weitermachen wollten. Es gab kurz die Überlegung, ob man es ohne Genehmigung macht. Aber das war zu gefährlich, weil dann landest du im Hefn (Gefängnis).

Weiters war es für die Menschen sehr schwierig zu begreifen, was es heißt, einen Verein zu gründen. So etwas gibt es so gut wie nicht in Ägypten, nicht wie wir einen Verein verwenden wollten. Das war ganz schwierig, dass begriffen wird, wie man das macht. Zuletzt hatten sie es endlich heraußen und dann kam auch die Genehmigung, dass wir mit einem Kindergarten beginnen können, wenn wir ein Haus mit vier Räumen haben. Dieses Haus haben wir dann gemietet und im September 2016 mit zwei Kindergartengruppen mit 60 Kindern begonnen – mit diesen drei Säulen. Das war dann aber zu wenig für 60 kinder. Sie haben dann noch fünf andere Frauen ausgesucht. Allgemein war halt alles von heute auf morgen und learning by doing. Wir haben heute durchgesprochen was wir morgen machen. Danach nachbesprochen was gewesen ist. Wie man einen Tag einteilt, das war ganz, ganz fremd.  Ein Kindergarten hat ja einen Rhythmus.  Auch das freie Spielen, kennen sie nicht. Wir haben ihnen Wasser gegeben und dann sieht man, dass man mit dem Sand ganz viel machen kann. Burgen bauen oder mit mit Steinen Etwas oder mit Bauklötzen dazu. Schaukeln kennen sie auch nicht oder das Balancieren. Die Kindergärtnerin, die aus der Schweiz mitkam, hat ganz viele Puppen genäht und Häuschen gemacht und was man halt im Waldorfkindergarten so macht. Keine Geschichten waren für die Lehrerinnen erinnerlich! Seit es den Fernseher gibt, ist nichts mehr da, nichts.

Keine Geschichten im Orient?

Als wir damals angefangen haben, hatten diese Lehrerin zum Erzählen praktisch nichts. Nach ein  paar Jahren fangen sie nun an, irgendwo doch noch etwas auszugraben an Geschichten. Dass man Spiele machen kann, malen kann ….. sie haben vorher nie genäht, nie gehäkelt, nix. Das musste man alles erst miteinander lernen.

Sollen die Kinder geschlagen werden?

Die Eltern fanden das nun am Anfang auch sehr schwierig, dass die Kinder nicht geschlagen werden. Erziehung funktioniert dort nur mit Schlagen. Wir meinten, man kann mit den Kinder auch reden. Das war schwierig für die Eltern zu verstehen und schwer zu akzeptieren. Sie haben im Laufe der Zeit gemerkt, dass unsere andere Art auch effektiv ist. Die Kinder sagten dann: „ruf die Lehrerin an, die weiß wie es geht. Die Lehrerin muss mir das sagen, der glaub ich.“

Es hätte ja sein können, dass es ohne Schlagen nicht funktioniert.

Ja, es war in der ersten Klasse, als wir die schließlich hatten, dann schon so, dass die Kinder es einmal ausprobieren wollten, was alles geht. Auch im Bus zur Schule, waren sie sehr arg, sehr arg. Dann ging das ein paar Wochen sehr, sehr schlecht. Schließlich ist die Lehrerin tatsächlich mit einem Stock in die Klasse gekommen und hat den Kindern gesagt:“ Wir können jetzt alle in die andere Schule rübergehen, wenn euch die Art lieber ist. Und ich kann das auch, ich hab ja diesen Stock mit!“ Dann hat sie das Fenster aufgemacht und gesagt: „Ich wills aber nicht!“ Und sie hat den Stock in hohem Bogen in den Garten geworfen und ist aus der Klasse gegangen. Die Kinder sind zehn Minuten mucksmäußchenstill drinnen gesessen. Und seitdem funktionierts. Die Kinder haben begriffen: Die Lehrerin will das nicht, deshalb macht sie es nicht. Und sie schätzen das jetzt. Seitdem ist ihnen klar, Schlagen ist eine leichte Sache. Hier haben sie das Privileg, anders behandelt zu werden. Und dafür haben sie jetzt Respekt. Natürlich sind sie auch Kinder und haben ihren Spass.

Die Beziehung zwischen den Lehrern und den Kindern ist unglaublich gut … unglaublich gut. Die Lehrerinnen haben ein unglaublich tiefes, schönes Einfühlungsvermögen in die Kinder. Schon vom Kindergarten an ist da ein sehr großes Verständnis. Sie suchen dahinterzuschauen, woher das kommt, dass das Kind sich so und so verhält. Wirklich wunderschön. Das können sie unglaublich gut. Wir aus Europa können von ihnen sehr viel lernen.

Extreme Früherziehung und der Mangobaum

Das andere Probelm, wie wir begonnen haben das Folgende. Die Kinder gehen dort mit drei Jahren in den Kindergarten und lernen Rechnen, Lesen und Schreiben, auf Arabisch und auf Englisch. Ab drei Jahren muss ein Kind das lernen, das sei die beste Zeit dafür. Die meisten Eltern sind Analphabeten und jetzt wollen sie halt ihrem Kind das Beste und so fängts mit drei schon an. Es ist für die Eltern kaum zu begreifen gewesen, dass es in unserer Schule nicht so ist. Dass Kinder erst mal spielen und in die Sinnseswelt eintauchen und ihre Phantasie betätigen und in einen freien Umgang miteinander kommen. Das war zuerst völlig unbegreiflich. Es hat gedauert, bis die Eltern gemerkt haben, dass es so geht und Früchte bringt, und das Kind sich vielseitig dadurch entwickelt. Dass es Fähigkeiten entwickelt, die es sonst nicht gehabt hätte. Und da haben wir unsere Elternabende und arbeiten mit den Eltern, um ihnen bgreiflich zu machen, dass der Mangobaum nicht sofort die Mango trägt, sondern, dass er erst Wurzeln schlägt und vorher keimt und die Blätter kommen und das der Prozess viele, viele Jahre dauert.

Der Pharmaziestudent ist nicht mit drei Jahren schon parat. Das dauert und das verstehen die Eltern nun Stückchen für Stückchen. Sie schätzen es immer mehr und arbeiten jetzt auch mit, mit den Lehrerinnen. Wichtig ist, dass die Schüler möglichst nicht Privatunterricht haben, weil sonst alle ein verschiedenes Wissen haben und das, was die Lehrerin macht, für die Katz ist. Wenn ein Kind vorher alles schon weiß, steigt es gar nicht mehr ein in den Prozess, den die Lehrerin mit der Klasse gehen will.

Du hast eingangs gesagt, dass der Privatunterricht abends eigentlich kontraproduktiv ist.

Genau. Unsere Lehrerinnen nehmen die Kinder nur auf, wenn die Eltern einwilligen, ihre Kinder nicht in den üblichen Abendunterricht zu geben. Sie sollen darauf vertrauen, dass durch die Lehrerinnen den Kindern schon alles beigebracht wird. Es ist wichtig, dass die Kinder in den Prozess einsteigen, ohne vorher schon zu wissen. Das spaltet nur die Klasse.

Die Eltern wissen nicht, was sie mit den Kindern zu Hause machen sollen und schicken sie nachmittags stundenlang in die Koranschule, wo sie auch dasitzen und den Koran runterbrüllen und sich die Schläge einfangen …

Der Koran in unserer Schule

Wir haben natürlich an unserer Schule Religionsunterricht und wir haben mittlerweile einen wirklich guten Koranlehrer, der sehr schön singt und den Kindern auch die Geschichten wirklich eindrucksvoll erzählt, und sie nicht einfach eine Sure nach der anderen nur auswendiglernen lässt. Er bringt wenige Suren, die er in einen Kontext stellt und ein Wortbild dazu gestaltet (eine malerische Geschichte).

Es hat gedauert, bis wir unseren Koranlehrer gefunden haben, es waren vorher schon auch ganz unkünstlerische da. Wir haben jetzt ein kleines Gebetshaus, das hat auch nicht jede Schule. So dürfen die Eltern das Vertrauen haben, dass die Kinder den Koran bei uns lernen. Sie lernen bei uns, was sie für ihre Religion brauchen. Auch das Beten natürlich, und die Waschungen und alles Andere. Das muss man nicht mit Schlägen nachmittags stundenlang noch unter Gebrüll erlernen. Wir wollen auch bald schon Nachmittagsunterricht einrichten, damit die Kinder sinnvoll beschäftigt sind.

Dass der Islam in der Schule ist, war klar, weil das in Ägypten einfach Standard ist?

Ja, aber man muss sehen dass in Luxor, wo wir sind, es überhaupt nicht der Islam ist des Klischeebildes, das ich aus Europa gehabt habe. Speziell Luxor hat einen höchst toleranten und sehr spirituellen Islam. Einen sehr feinen Islam. Die meisten Lehrerinnen von uns haben auch Islamwissenschaften studiert, sie sind wirklich tiefe, tiefe Menschen mit einer tiefen Menschenkenntnis. Sie sind im Unterricht viel besser als jegliche Lehrerinnen, die nur Staatsschule gelernt haben.

Du meinst die Staatsschule bei uns oder dort?

Dort. Sie leben sehr tief mit dem Koran, lieben ihn sehr. Am Anfang war ich immer überaus vorsichtig, wenn ich etwas aus der Anthroposophie gebracht habe. Sie haben dann gesagt: „Drück dich einmal klar aus. Willst du das oder das sagen? Das kennen wir aus dem Koran.“ Anthroposophie ist ihnen überhaupt nicht fremd, überhaupt nicht. Das kennen sie alles aus dem Koran. Ja, der Koran ist unterschiedlich aufzufassen, unterschiedlich zu lesen und diese Frauen lesen ihn eben so, dass er der Anthroposophie von vorneherein nahe war. Deswegen sind sie außerordentlich glücklich, weil sie mit solchen Inhalten sehr tief schon lange leben, teils seit der Schulzeit. Die Mädchen und Frauen müssen in Ägypten ein Sozialjahr machen und da hatten sie große Ideale gehabt. Es gab Projekte mit Umwelt und Erziehung und Gesundheit. Und jetzt sind sie unglaublich glücklich und auch dankbar, dass sie durch die Waldorfpädagogik und die anthroposophische Menschenbetrachtung, konkrete Schritte sehen, wie sie das im Leben praktizieren können, was in ihrem Innern ganz stark lebt.

Zusammenhang und Unterschied zur Schule in Sekem

Die Lehrerinnen sind eben tief verbunden mit ihrer Schule und das ist ihr Ein und Alles. Die Initiative kommt ganz aus ihnen, was ein gewisser Unterschied zu Sekem ist.

Denn dort kam die Initiative vom Gründer Ibrahim Abouleish, meinst Du?

Dort wurde überhaupt alles stark von Deutschen geleitet und getragen und so ist es bis heute. Das hat auch sein Gutes. Bei uns aber ist es nicht so. Alles kommt ganz aus diesen ägyptischen Frauen. Ich helfe ihnen dann in der Organisation, im Alltag bei dem was sie brauchen, in der Vorbereitung der Stunden und so weiter. Es kommt ja auch eine Waldorflehrerin zweimal im Jahr aus der Schweiz für zwei Wochen, es kommt eine Kindergärtnerin, eine Handarbeitslehrerin, eine Eurythmielehrerin. Die geben einen Input für das, was in den nächsten Monaten gebraucht wird. Für das konkrete Ausführen und das Üben bin ich dann da. Ich bin ja das halbe Jahr über in Luxor und helfe den Lehrerinnen ganz allgemein.

Ihr seid also, für die Anthroposophenschaft nochmals nachgefragt, kein Ableger von Sekem?

Am Anfang bin ich gleich nach Sekem gefahren (800 km von Luxor) und habe ihnen von der Initiative in Luxor erzählt – in der Annahme, dass sie sich ihrer vielleicht annehmen würden. Das war ihnen aber nicht möglich, weil sie selber so viel zu tun haben.

„Ihr könnt aber immer gerne kommen und hier zuschauen oder euch bei uns Rat holen.“ So haben wir also versucht, uns selber auf die Beine zu stellen und haben jetzt 5 Jahre sehr selbständig gearbeitet. Die Einladung nach Sekem haben wir aber gerne angenommen und sind im ersten Jahr mit dem ganzen Lehrerkollegium, (später auch die Administration) für eine Woche hingefahren und durften in allen Klassen hospitieren – auch im Kindergarten. 3 Jahre danach durften die Kindergärtnerinnen wieder für eine Woche dort sein. Auch unsere Eurythmielehrerin hat die wesentlichen Anregungen und Anleitungen in Sekem bekommen. Sie haben die arabische Eurythmie sehr stark ausgearbeitet. Die 16-köpfige Eurythmiegruppe hat uns gerade für ein paar Tage mit einem Märchen besucht und viel für den Unterricht gezeigt, auch dem Sportlehrer. So ist mittlerweile ein sehr schöner geschwisterlicher Austausch zwischen den beiden Initiativen von Ober- und Unterägypten entstanden. Eine große Hilfe sind auch die Sprüche und Reigen auf Arabisch, die wir von den Lehrern in Sekem bekommen haben. Das ist eine sehr große Arbeit, diese ganze Übersetzung. Es gibt bislang, außer einigen Sprüchen, so gut wie nichts von Rudolf Steiner ins Arabisch übersetzt. Was für eine Fügung, dass wir einen jungen Ägypter aus Kairo gefunden haben, der in Stuttgart am Lehrerseminar ist! Er übersetzt jetzt seit einigen Jahren die „Allgemeine Menschenkunde“ von Rudolf Steiner. Das ist ein großes Geschenk! So können die Lehrerinnen an einem Vortrag ungefähr ein halbes Jahr lang arbeiten, bis der nächste kommt. Jetzt ist er grad am 11. Es macht sehr viel aus, wenn die Lehrerinnen die Inhalte der Menschenkunde in ihrer eigenen Muttersprache bewegen können.

Vorher habt ihr das auf Englisch gemacht?

Ja, ja. Aber das ist natürlich ganz etwas Anderes. Alles, was man für die Waldorfschule braucht, die Lieder und Sprüche und Reigen und Spiele (kleine Bühnenspiele), da mussten wir noch viel übersetzen! Den Morgenspruch haben wir von Sekem übersetzt übernommen.

Die Räumlichkeiten

Wir haben ursprünglich mit dem Kindergarten begonnen. Das war im September 2016. Dann haben die Eltern das doch sehr geschätzt und wollten, dass das weitergeht als Schule. Dann mussten wir aber noch das Land finden für ein Gebäude, um die Schulgenehmigung zu bekommen. Wir hatten dann das Glück, Land zu finden zu einem sehr günstigen Preis und das große Glück, dass aus Österreich eine sehr große Spende gekommen ist, sodass wir das Land kaufen konnten. Wir haben angefangen zu bauen und sind mit dem Kindergarten 2018 eingezogen. In einem anderen Haus haben wir damals die Klassen provisorisch untergebracht. In der Zwischenzeit haben wir das Schulhaus auch fertiggestellt. Es gibt sechseckige Räume für die sechs Klassen der Grundschule.

Christian Hitsch hat da auch mitgewirkt?

Der Entwurf stammt von Christian Hitsch, einem Architekten aus Salzburg. Die Ausführung übernahm das „Tajeb Construction Office“, ein Architekturbüro in Luxor. Neben dem Kindergarten, der schon fertig war, gibt es ein Gebetshaus und ein kleineres Gebäude für die Administration und die Schulmensa. Da sind jetzt provisorisch auch Handarbeit und Werken eingerichtet. Ab nächster Woche wollen wir mit dem Nachmittagsunterricht beginnen. Das war bisher ein bisschen schwierig, weil die Lehrerinnen den Nachmittag ja zur Weiterbildung brauchen – wir müssen ja learning by doing vorgehen. Jetzt machen wir bis Ramadan in zwei Monaten, einen ersten Versuch mit der 4. Klasse an 3 Tagen bis in den Nachmittag zu unterrichten. Wir werden sehen, wie das geht mit den Lehrerinnen, der Schulküche, den Räumen und den Bussen und so weiter. Wir hoffen dann im nächsten Jahr regulär mit den Handwerksfächern am Nachmittag ab der vierten Klasse zu arbeiten.

Organisationsform, Genehmigung und Inspektion

Wir haben wie gesagt mit dem Kindergarten begonnen. Das war im September 2016. Da gab es zwei Gruppen. Die größeren Kinder, sollten dann in die Erste Klasse kommen und da haben wir eine Genehmigung bekommen für eine sog. „Community School“. Das ist eine Schule für die Armen, also ein Jahr Lesen und Schreiben Lernen für 35 Menschen jeglichen Alters in einem Raum. Meistens sind es Erwachsene. Bei uns sind in dieser Klasse zufällig alle 6-7 Jahre alt. Jedes Jahr müssen wir dafür neu eine Genehmigung einholen. Community School geht nur bis zur 6. Klasse. Das Gute ist, dass es in der Community School viel „activitys“ gibt, so können wir da problemlos die künstlerischen Fächer der Waldorfschule einbringen.

Das wird öffentlich auch gefördert oder nur erlaubt?

Es wird nur erlaubt. Falls wir in die Mittelstufe vollständig weitergehen, müsste man dann Privatschule werden. Wir arbeiten gerade daran, somit an den Genehmigungen und an der Überlegung, ob wir reif dazu sind bis zur 9. Klasse auszubauen (Anm. Waldorfpädagogik: 9. Klasse = 9. Schulstufe). Ob sich die Lehrer oder Lehrerinnen finden, ob wir Genehmigungen und Subventionen bekommen und dann müsste auch wieder ein neues Gebäude kommen. Das wäre auch wieder mit Fundraising in Europa verbunden. Noch einmal zurück: Wir haben im ersten Jahr begonnen mit Government Curriculum, also normale Schule mit Waldorfelementen, wie in Sekem. Government Curriculum ist ein staatlicher Lehrplan. Nach ein paar Monaten hat die Erstklasslehrerin gesagt, das ist so ein Spagat, dass reißt sie auseinander, das geht einfach nicht. Ich meinte, „ihr müsst euch entscheiden, was ihr wollt.” Es wurde klar, dass sie Waldorfschule wollten, ohne Kompromisse. An dem Tag ging ich gerade zum Erziehungsministerium wegen Baugenehmigungen und die Lehrerinnen haben ihre Zwerge, Epochenhefte und Stricksachen eingepackt und sind gleich mitgekommen. Sie haben dem Minister alles unterbreitet, was sie in der Schule machen und was sie für die Zukunft wollen. Der war ganz stolz, dass so etwas Innovatives hier bei ihm in seinem Departement stattfindet, und hat gleich wörtlich eine Zusage gegeben, dass alles genehmigt wird. Allerdings müssten wir erst mal sechs Jahre ausprobieren und sehen, ob es Erfolg hat … dann bekommen wir die Genehmigung auch schriftlich. Jetzt machen wir 100% Waldorfschule, bekommen aber trotzdem die Governmental Books, die sich die Lehrerinnen dann mit den Kindern anschauen. Sie suchen Themen heraus, die sie im Waldorflehrplan haben, damit die Kinder ein bisschen diese Bücher auch kennen lernen und mit ihnen umgehen können.

Die Inspektoren staunen, dass es ohne Schläge funktioniert.

Es gibt am Ende von jedem Semester eine staatliche Prüfung. Das läuft bis jetzt ziemlich locker, weil die Inspektoren gar nicht in der Schule sind, sondern den Inhalt nur schicken. Also findet man mit den Kindern spielerisch einen Weg (Anm. wie es der Waldorfschule mehr entspricht), sodass die Kinder diese Prüfungen dann auch bestehen. Sonst kommen die Inspektoren regelmäßig in die Schule und sind sehr gerne da. Sie sind jedes Mal völlig begeistert, schreiben nur die besten Sachen in ihre Berichte und sehen, dass die Lehrerinnen ihren Beruf gut verstehen, besser als die Inspektoren und sagen: mach unbedingt so weiter, wie du es hier machst (Anm. im Vergleich zum normalen Schulsystem in Ägypten, siehe Teil 1). Aber sie müssen halt trotzdem kommen und ihr Häkchen machen. Wir haben ein gutes Verhältnis mit den Inspektoren, auch mit denen, die aus Kairo kommen. Man bestärkt uns weiterzumachen, weil man sehr stolz ist, dass es solch eine Schule in Ägypten gibt, deren Niveau sehr gut ist. Die Inspektoren sind verwundert über das gute Benehmen der Kinder und über ihre Liebe zum Lernen: Dass alle Lehrerinnen in der Schule sind, dass alle Kinder da sind, dass sie gerne lernen. Dass sie ein gutes Wissen haben, ein Können haben und dass das Ganze funktioniert … ohne Schläge und ohne Brüllen! Das ist ihnen ein Rätsel. Sie schreiben manchmal selber etwas mit, denn sie wollen auch für sich selbst etwas lernen.

Öffentliches Interesse an der Waldorfpädagogik

Es gibt auch staatliche Weiterbildungen, wo die Lehrerinnen zuweilen hin müssen, was sie gar nicht gerne tun. Fragt man sie, wie es denn war, sagen sie: „Ja, ich musste den ganzen Vormittag gestalten! Der Professor hat mich gefragt, wie es bei uns läuft und dann hab ich den Vormittag bestritten.” Also hört man dort von Waldorfpädagogik. Die staatlichen Ausbildungen wollen, dass unsere Lehrerinnen dort die Waldorfmethode lehren. Ich bremse dann und sage, dass sie selber erst mal einige Jahre unterrichtet haben und einen Klassenzug durchgemacht haben sollten und dann schauen wir mal. Also ist schon auch von staatlicher Seite ein Interesse an jeglichen neuen Ideen da, weil es für alle klar ist, dass die Schulsituation ein Fiasko ist, das alle frustriert.

Das normale Schulsystem in Ägypten?

Ja, dass normale Schulsystem. Man ist echt hungrig nach neuen Impulsen. Von da her ist die Sache in Luxor eine sehr schöne Initiative, die sich a la longue vielleicht nicht nur auf unsere eine Schule beschränken wird.

Bist Du eigentlich zur Waldorflehrerin ausgebildet?

Nein, ich bin keine ausgebildete Waldorflehrerin. Ich wollte auch nie eine Waldorfschule gründen, sondern ich habe diese Lehrerinnen kennengelernt und wollte ihnen helfen und eigentlich jemand finden, der ihnen beisteht. Dann bin da mehr und mehr reingerutscht sozusagen. Ich mache auch das Fundraising in Europa, um Spender zu finden, und ich suche die unterstützenden Lehrer aus Europa. Ich koordiniere viel. Die Spender kennen ja die Personen in Ägypten nicht persönlich. Ich bin das Bindeglied, kenne den Stand vor Ort und weiß, was als nächstes gebraucht wird.

Du wolltest zuerst nur eine Verbindung zur Waldorfpädagogik herstellen und dann ist Dir alles Weitere zugewachsen?

Ja. Ich kann natürlich die Tätigkeiten, die ich bisher als Schauspielerin und Regisseurin 30 Jahre ausgeführt habe sehr gut anwenden, denn das Ganze ist ja irgendwie ähnlich einer großen Inszenierung, könnte man sagen. Biographiearbeit, Beziehungsarbeit, das alles kommt da vor.

Was hast Du alles bisher eigentlich so gemacht?

Schauspielerin, Sprachtherapeutin, Regisseurin war ich in Deutschland, Österreich und seit 20 Jahren in der Schweiz. Das habe ich mehr und mehr reduziert und meine Hauptaufgabe ist jetzt die Entwicklung dieser Waldorfinitiative in Luxor.

www.hebet-el-nil.org

Spenden für Lehrergehälter, Kinderpatenschaften und das Schulessen:

SPENDENKONTEN:

Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners, bei der GLS Gemeinschaftsbank, Bochum, Deutschland

IBAN DE47 4306 0967 0013 0420 10, BIC GENODEM1GLS

Verwendungszweck: Hebet elNil Schule Luxor + Ihre Adresse für die Zuwendungsbestätigung

HERMES – Österreich beim Bankhaus Spängler in Salzburg

Konto: AT86 1953 0001 0063 0000

Verwendungszweck: Hebet elNil Schule Luxor

 

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